Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Kolloquium zu Fragen der Theorie und Methodik der Industriellen Formgestaltung — 3.1979

DOI Artikel:
Oehlke, Horst: Funktion - Gestalt - Bedeutung (zur Semantik der Produkterscheinung)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30595#0021
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
hängt jeweils ab vom Interpretierenden (Nutzer, Produzent, Be-
trachter), von dessen Wissen (Fachwissen, Gebrauchserfahrung)
um den gesamten Gegenstand, der sich in der Gestalt repräsen-
tiert, und von der Nutzungssituation, von seinem lculturellen
und polytechnischen Erfahrungen.

Es kann durchaus zu divergenten Auffassungen, Deutungen und da-
mit Wertungen über einen Gegenstand kommen durch das unter-
schiedliche Verhältnis, das zu ihm eingenommen wird. Dabei
spielen neben dem konkreten Gebrauchszusammenhang besonders die
soziale und kulturelle Situation und Strukturierung der Einzel-
persönlichkeit , einer Schicht oder Klasse eine ausschlaggebende
Rolle .

Daraus folgt die zweite Feststellung: Man sieht , was man weiB.
Wahrnehmung ist ein komplexer Vorgang von sinnlicher Rezeption
und Denktätigkeit , bei dem bereits Gewußtes an der Verarbeitung
beteiligt ist (F. Klix; R. Arnheim). Es ist daher unsinnig, bei
der Deutung von Gestalten und Erscheinungen eine Reduktion auf
rein visuelle Sachverhalte vornehmen zu wollen, denn die “Deu-
tung" von etwas Gesehenem ist bereits eine Funktion des Ge-
wußten über den Gegenstand, bzw. seine Erscheinung.

Da keine zwangsläufige Obereinstimmung zwischen dem Gesehenen
und seiner Bedeutung besteht, können noch nicht bekannte, neue
Formen oder Produkte unter Umständen nicht richtiq eingeordnet,
nicht sofort verstanden, also "Falsch“ interpretiert werden.

Das ist einerseits eine Frage der Sicherheit, aber oft mehr
noch der "Befriedigung" des Rezipienten. Die Sicherheit für eine
"richtige" d. h. eindeutige Zuordnung von Formen und deren Aus-
sage über den Gegenstand besteht immer nur in relativ konstanten
Situ8tionen und Bereichen menschlicher Lebenstätigkeit für die
dort kommunizierenden sozialen Gruppen. Die “Richtigkeit" einer
Produktgestalt besteht auch nur für diese Gruppe und für eine
bestimmte Entwicklungszeit und drückt sich in der relativ über-
einstimmenden Meinung dieser Gruppen über den Gegenstand im
Sinne einer geltenden Norm aus.

Die Kenntnis von Formbildungsgesetzen allein ergibt daher kein
hinreichendes Fundament für die gestalterische Tätigkeit. Die
Auseinandersetzung mit der Herausbildung von Zuordnungen von
Formen und Bedeutungen und deren Bewertung ist damit ein wesent-

19
 
Annotationen