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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Kolloquium zu Fragen der Theorie und Methodik der Industriellen Formgestaltung — 3.1979

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Letsch, Herbert: Subjektorientierte Ästhetik als philosophische Disziplin und einige Fragen des ästhetischen Gebrauchs
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https://doi.org/10.11588/diglit.30595#0158
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9ellschäftlichen Arbeitsteilung( in den geistigen Wertorien-
tierungen und den spezifischen psychischen Dispositionen be-
gründet. Doch mag es sein, wie es will, eines ist für eine sub-
jektorientierte allgemeine ästhetische Theorie gegenständlicher
Umweltgestaltung unabdingbar: Das ästhetische Potential gestal-
teter Umwelt ist nur über den Prozeß des Gebrauchens subjektiv
realisierbar. Damit wenden wir uns gegen die tradierte Ästhetik
des klassisch-bürgerlichen Humanismus und gegen den Kunstzentris
mus als seine Erbschaft, das heißt gegen die Tendenz, das Er-
lebnis des Subjektivitätsgewinns an eine passiv-kontemplative
Betrachtungsweise zu binden , die den wirklichen oder auch vor-
stellungsmäßigen praktisch-gegenständlichen Gebrauch ausschließt
Wäre dem tatsächlich so, dann könnte beispielweise die poten-
tielle ästhetische Wertigkeit der Technik erst dann als Selbst-
werterlebnis realisiert werden, wenn sie im Museum steht. Mehr
noch, dann hätte faktisch die gesamte gegenständliche Dingwelt
als ästhetisches Potential überhaupt keinen Bezug zum materiel-
len Lebensprozeß, der ja ohne den praktisch-gegenständlichen
Gebrauch und Verbrauch vollzugslos bleiben müßte.

Die Auffassung vom kontemplativen Charakter der Aneignung
ästhetischen Potentials ist der idealistischen und kunstzen-
tristischen Ästhetik insofern eigen, als Kunstgenuß tatsäch-
lich nicht mit dem praktisch-gegenständlichen Gebrauch, damit
auch nicht mit dem psychischen Verbrauch des Kunstgegenstandes,
des Artefakts verbunden ist. Demgegenüber werden natürlich
technische Dinge, Gebrauchsgüter, Architektur usw. gebraucht
und verbraucht, vernutzt. Die Realisierung des ästhetischen
Potentials als Erlebnis des Subjektivitätsgewinns geht hier
unabdingbar mit dem Verbrauch - um nichts anderes handelt es
sich - vergegenständlichter Subjektivität einher.

Damit erhebt sich eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die
wir uns zumindest stellen müssen : Wenn Subjektivitätsgewinn
unabänderlich mit Subjektivitätsverbrauch verbunden ist , kann
man dann diesen Verbrauch aus dem ästhetischen Genuß ausschlies-
sen? Verhalte ich mich zur Speise nur solange ästhetisch, so-
lange ich sie bloß anschaue, aber sie nicht verzehre? Und wenn
ich sie verzehre, liegt dann mein Genuß unterhalb der ästhe-
tischen Gürtellinie? Wobei klar sein muß: Das hat nichts damit

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