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Frankfurter Bücherfreund: Mitteilungen aus dem Antiquariate Joseph Baer & Co. — 10.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.69414#0049

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Thomas Murner als Illustrator. II.
Die Karlsruher Handschrift der Murnerschen Uebersetzung der Weltgeschichte
des Sabellicus ist ein Foliant von 264 Blättern. Die Ueberschrift lautet: M. Antoni)
Sabellici Historij vö an-/beschaffener weit des erste frstë ist ausgestrichen und
dafür am Rand verbessert: ander) Eneadis. Am Schluss steht: Des anndern
Eneadis finis / Anno 1532 Sab’o post / Ulrici Thoma Murner / Interprété. Das
ganze Buch ist auf Papier in gleichmässiger, flüchtiger Hand mit Tinte geschrieben.
In den Text eingestreut sind 122 Federzeichnungen,1) die mit derselben Tinte und
offenbar zu gleicher Zeit ausgeführt sind. Sie haben durchschnittlich eine Grösse
von 130 bis 140 mm. im Quadrat; einige Porträts in Medaillonform haben einen
Durchmesser von 70 mm.
Wir finden in diesen Zeichnungen dieselben charakteristischen Merkmale wie
in Murners Dichtungen und Uebersetzungen. Murner war nicht der Mann, der
ein Werk langsam und sorgfältig vorbereitet, Quellenstudien macht, sich in den
Stoff vertieft und wohldurchdachte Pläne ausarbeitet. Er folgte stets der Eingebung
des Augenblicks mit der Gewandtheit und Flüchtigkeit des Universalgenies, das vor
Schwierigkeiten um so weniger zurücksehrickt, als es meistens ihre Existenz nicht
ahnt. Dafür aber ist er originell, oft voll witziger Einfälle und schöpft aus seinem
eigenen Schatz von Gedanken und Vorstellungen. Für einen anderen hätte
es nahe gelegen, sich bei der Illustrierung des Sabellicus an die damals vielfach
verbreiteten Uebersetzungen der alten Historiker Livius, Caesar, Josephus usw. an-
zulehnen, deren Illustration ziemlich gleichmässig ist. Anklänge an die Holzschnitte
dieser Werke finden wir bei Murner höchstens in den Darstellungen von Schlachten
und Belagerungen ; in den Szenen mit wenigen Personen ist er ganz selbständig
und zeigt dabei alle Eigentümlichkeiten, die ich an den Holzschnitten seiner Dich-
tungen hervorgehoben habe.
Der Kunstwert der Zeichnungen im Karlsruher Codex ist ungleich. Manche
Blätter von einfacher Komposition zeigen entschiedenes Zeichentalent und sind
gewandt und nicht ohne Geist entworfen. Bei andern hat das Können Murners
gegenüber der gestellten Aufgabe vollständig versagt. Die meisten Zeichnungen
sind von derber Ausführung. Die darzustellenden Begebenheiten werden in der
einfachsten, naivsten Weise wiedergegeben, die Figuren sind so gross, wie es der
Raum gestattet, kurzbeinig, grossköpfig, so dass sie oft den Eindruck von Zwergen
machen. Die Architektur ist viel zu klein gezeichnet, die Perspective kümmerlich.
Die Schlettstadter Handschrift ist unvollständig; sie hat nur noch 177 Bll.
mit 104 Handzeichnungen; es fehlen die ersten und letzten Blätter. Sie enthält
die VII. Enneade, mit dem Schlüsse des zweiten Buches anfangend und mit dem
Anfang des neunten Buches endigend. Jedes Buch ist am Schlüsse von Murner
datiert und unterzeichnet, beginnend mit dem Datum Feria 6 post Michaelis 1534,
und mit Feria 6 ante presentationis Mariae 1534 endigend. Die Tinte ist etwas
dunkler als in dem Karlsruher Codex, der zwei Jahre früher entstanden ist. Die
Zeichnungen sind nicht zu gleicher Zeit mit dem Texte ausgeführt, sondern erst ein
Jahr später, wie wir aus dem Datum 1535 ersehen, das sich auf Seite 146 in der
Spange des Mantels des Elius Verus befindet. Hieraus erklärt sich, dass sie mit
einer dunkleren Tinte als der Text ausgeführt sind, eine Vergleichung mit dem Karls-
ruher Codex ergibt aber, dass sie unzweifelhaft ebenfalls von Murners Hand sind.
Sie bestehen vorwiegend aus Porträts von Kaisern und Päpsten in ganzen Figuren,
’) Man vergleiche unsere etwas verkleinerten Abbildungen auf S. 309 u. 311, und die acht
photographischen Nachbildungen in: Handzeichnungen von Th. Murner zu seiner Übersetzung
des Sabellicus. Nebst Vorwort von E. Martin. Strassb. 1892.
 
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