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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Münzel, Gustav: Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0074
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Münzei, Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister

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wie Haltung und geistiger Ausdruck der Köpfe, die
ausgesprochene Neigung des Hauptes nach links wie
ihr sinnender Blick. Alle diese Ähnlichkeiten zu-
sammengenommen weisen deutlich auf ihren gemein-
schaftlichen Ursprung von einem Meister hin. Der
Stil zeigt bei beiden die gleiche Entwicklungsstufe,
so dass wir Anna-Altar und die Figuren von Reute
in eine Periode des Meisters, also zeitlich nahe bei-
einander setzen müssen, ohne dass es mit Sicherheit
möglich wäre, anzugeben, welches der Werke inner-
halb dieser Periode das frühere oder spätere ist.
Die stärkere Belebtheit und Freiheit der Körper-

Rotweil bei den verzerrten Gesichtern der Dämonen
im Engelkampfe finden.

Ein weiteres bisher unbekanntes Werk des Mei-
sters vom Anna-Altar befindet sich gegenwärtig im
Privatbesitz in Mülhausen1. Es ist eine Madonna
mit Kind aus Lindenholz, 1 '/s m groß. Die Figur
ist weiß gestrichen bis auf das Inkarnat, das einen
ziemlich tiefen rötlichen Ton hat. Das Gesicht und
die Haarbildung der Madonna haben eine ganz aus-
gesprochene Ähnlichkeit mit der Maria aus dem
Anna-Altar; es ist derselbe kleine, gespitzt lächelnde
Mund, die starken Backen, die große Stirne, das

Abbild. 9. Die Predella des Hochaltars im Brcisacher Münster.

bewegung bei den Figuren des Anna-Altars könnte
auf ein fortgeschritteneres Stadium des Meisters hin-
weisen, allein sie können auch begründet sein durch
den Gruppenzusammenhang, in dem die Figuren des
Anna-Altars miteinander stehen, während die Figuren
in Reute unverbundene, rein statuarisch wirkende
Wandplastiken sind. Eine ganz besondere Leistung
des Meisters bei den Figuren in Reute sind die
beiden von den Heiligen als Symbol ihres Martyriums
in den Händen gehaltenen Köpfe. Diese sind hier
nicht genau so gehalten wie die Köpfe der Heiligen
selbst, wie dies sonst oft der Fall ist, sondern der
Charakter des überstandenen Leidens und des Toten-
haften ist ungemein markant herausgearbeitet. Der
Zug des Meisters zum Charakteristischen im Ge-
sichtsausdruck zeigt sich auch hier bei der durch
das Leiden bewirkten Verzerrung, wie wir eine ähn-
liche Leistung verwandter Art auf den Flügeln in

reiche Haar, dessen Lockenwellen sich ebenfalls
vorn über die Brust legen. Die Kopfbildung dieser
Madonna ist fast identisch mit der der Regula in
Reute, beide haben die gleiche eigentümlich zu-
sammengedrückte, in die Breite gehende Kopfform.
Ganz identisch ist bei ihnen der viereckige Hals-
ausschnitt mit dem dreieckig eingelegten Halstuch.
Für die eigenartige Bildung von Schlingen und ge-
drehten Zipfeln des Meisters vom Anna-Altar haben
wir auch hier bei der Madonna ein Beispiel in der
Behandlung des Tuchs an der linken Schulter wie
bei dem herabhängenden Gewandteil an der rechten
Seite. Von charakteristischer Ähnlichkeit sind dann
schließlich auch noch die Körperbewegung und die

1 Der jetzige Eigentümer ist Herr Maler Ciaer in Mül-
hausen, der die Figur aus dem Nachlass eines Sammlers zu
Freiburg i. Br. erworben hat. Sie soll aus der Nähe von Breisach
gekommen sein.
 
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