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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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https://doi.org/10.11588/diglit.2399#0037
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Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr 33

I

Abbild. 20.
Fialenkrönung
eines Chor-
pfeilers aus
dem Jahre
1781.

überdies die schematische, fortlaufende
Einförmigkeit. Ferner kommt hinzu,
daß das verwendete Material so wenig
wetterbeständig ist. Wenn man dagegen
die alten Maßwerke, die noch von ver-
hältnismäßig guter Beschaffenheit sind,
in Vergleich bringt, so muß man deren
sinn- und zwecklose Entfernung aufs
tiefste beklagen.

Es erscheint unter den gekennzeich-
neten Verhältnissen begreiflich, daß für
die von ihrem Platz entfernten Maß-
werkplatten nicht das geringste Interesse
mehr vorhanden war. So kam es, daß
man sie mit anderen Materialien, im
Wege der öffentlichen Versteigerung, an
den Meistbietenden veräußerte1.

Bei den Wiederherstellungen ist man
vielfach mit unstatthaften Mitteln zu
Werke gegangen. „Die Außenseite der
südlichen Querschiffwand sollte", so heißt
es, „sogleich nach Beendigung der Verbes-
serungen an der südlichen Langhausseite
von der Kalktünche befreit und im Qua-
derwerk aufgefrischt werden. Dieses be-
dingt die Entfernung der Sonnenuhr und die Wieder-
einsetzung des bei Gelegenheit der Aufbringung der
Sonnenuhr abgespitzten Horizontalgesimses mit den
kleinen Rundbogen und dem Blattkranz darüber. Mit
diesem in Verbindung ist die Beseitigung der Kalktünche
und die Haustein-Auffrischung an der Vorhalle des
südlichen Querschiffes samt Ergänzung schadhafter
Gliederungen und Zierstücke zu vollziehen". „Die Auf-
frischung des Quaderwerks" erfolgte in der Weise,

1 Laut Steigerungsprotokoll vom 30. September 1865 hat
W. B. Clarke in Littenweiler 1<>9 laufende Fuli altes Geländer in
gotischer Form von rotem Sandstein um 143// erstanden und sie
an seinem Anwesen zu Terrassen verwendet. Karl Ringwald in
Emmendingen ersteigerte 41 Fuß zu 73 fl 45 kr, während zwei
gotische Türmchen Maurermeister Joh. Wagner in Freiburg um
16 fl 12 kr zugeschlagen erhielt. Ein Teil der Maßwerke ge-
langte an einer Terrasse im Pyrrschen Rebgut am Schloßberg,
unmittelbar über der Schöneckstraße, zur Verwendung. Wie
man heutzutage solche Überreste einzuwerfen weiß, mag aus
folgendem ersehen werden. Von der Wendeltreppe des ehe-
maligen Lettners sind dem Münsterbauverein vier reich geglie-
derte Maßwerke zum Kauf angeboten worden. Diese Stücke
konnten ebenfalls in einer Zeit, wo man solchen Architektur-
resten keine Aufmerksamkeit mehr schenkte, um einen ganz
bescheidenen Betrag erworben werden. Um ihre Erhaltung
dauernd zu sichern, glaubte man sie für die Sammlung, wo
noch weitere Überbleibsel vom Lettner bewahrt sind, zurück-
gewinnen zu sollen und bot dafür den verhältnismäßig hohen
Preis von 500 M. Hierauf hat der Besitzer die Verkaufsabsicht
aufgegeben, weil er sich des Besitzes schließlich doch nicht
entäußern wollte. Zeigt dieses Beispiel, wie der Wert derartiger
Renkmalreste stark überschätzt werden kann, so ist es ander-
seits ein erfreulicher Beweis dafür, wie sich der Sinn für das
Ererbte innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelt hat. Nachdem
hessischen Denkmalschutzgesetz würde heute in Hessen in
einem solchen Falle der Käufer und der Verkäufer bestraft
werden.

Freiburger Münslerblätter XIII.

daß die ganze Giebelfläche einschließlich des Portals
neu aufgestockt wurde. Infolge dieses durchaus
verwerflichen Verfahrens hat der eigentliche Cha-
rakter und der kunstgeschichtliche Wert der Archi-
tektur starke Einbuße erlitten; die urwüchsige, ori-
ginale Handschrift, die sich in der Bearbeitung
der Hausteine kundgibt, wurde dadurch völlig ver-
wischt. So hat man sich an dem romanischen Portal
zweimal versündigt; erst 1620 und nun 1863. Der
Zement spielte bei den Ausbesserungen eine große
Rolle. Um sie mit dem Farbton des Sandsteins in
Obereinstimmung zu bringen, half man mit brauner
Beize oder passender Ölfarbe nach. Zum Glück
hielt der Mangel an Geldmitteln den Trieb nach
Veränderung und „Verschönerung" noch in heil-
samen Schranken zurück. Es ist nicht ohne Inter-
esse, einige dieser Pläne kennen zu lernen. Beab-
sichtigt war die Entfernung des 1697 aufgesetzten
Dachreiters vom südlichen Querhausdach und die
Aufhängung des dort befindlichen Meßglöckchens
im Hahnenturm. Auch das davor sitzende steinerne,
romanische „Reiterkreuz", welches den Giebel be-
krönt (Abbild. 22), wollte man ersetzen „durch ein
schlankeres, nach romanischem Muster geformtes Stein-
kreuz, das jedenfalls ge-
fälliger in der Luft sich
abzeichnen werde, als das
gegenwärtige". Das klingt
nicht sehr einleuchtend
und ist an sich auch
unrichtig. Denn in sei-
ner schlichten Einfach-
heit und charakteristi-
schen Form erweist sich
das Kreuz mit dem ge-
spaltenen senkrechten
Balken als die ursprüng-
liche romanische Gie-
belbekrönung, deren Be-
stand noch ein guter ist2.
Wie das „schlankere,
nach romanischem Mu-
ster geformte Stein-
kreuz" stilistisch ausge-
fallen wäre, davon kann
man sich ein Bild ma-
chen, wenn man das alte,
leider nicht mehr vor-

2 In dieser Bekrönung
dürfte die älteste Darstellung
des Zeichens der Freiburger
Münsterhütte und Münster-
fabrik, das mit dem von „Un-
serer Frauen Werk" in Straß-
burg identisch ist, zu er-
blicken sein.

Abbild. 21. Für den Chorbau
typische alte Pfeiler-Architektur.
 
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