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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 6.1884

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Wessely, Joseph Eduard: Adrian Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.3796#0007
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BLIG1TIÖ

ADRIAN LUDWIG RICHTER.

ZUM ACHTZIGSTEN GEBURTSTAGE.

Ein Lebensbild von J. E. Wessely.

r\UF verfchiedene Art wirbt die Kunft,
die hehre Himmelstochter, Jünger für ihre
Fahne. Einmal sleht die Wiege in der Nach-
barschast einer Künftlerwerkstätte und ein
Künftler ist es, der sich als Vater über das
Kind in der Wiege liebevoll neigt, als ob er
es mit seinem Odem der Kunft weihen wollte.
Beneidenswerthes Künftlerkind, wenn ihm
von Oben auch Talent und Kunftsinn als
Himmelsgefchenk verliehen wurde.
In der Natur wie im Menfchenleben
geht ost fo Vieles verloren, weil es nicht
geweckt, behütet, gefördert wurde. Aber
auch der vollendetfle Unterricht, die gün-
ftigfte Gelegenheit führt zu keinem, wenig-
stens zu keinem hohen Ziele, wenn das
erziehende Wort aus einen trockenen und
unsruchtbaren Boden fällt, wenn die Anlage
nicht angeboren ift. Mag der beste Lehrer
drillen, die berühmteste Akademie dem
talentlofen Zögling ossen stehen, die reichsten
Galerien ihm die Ideale der Kunst weisen,
die Mühe ift verschwendet, im besten Falle ift Mittelmässigkeit das Los eines solchen verfehlten Lebens.
Oft, nur zu ost umgeben ein wirkliches Talent drückende Familienverhältnisse, die Noth umschliefst
fie wie eine Dornenhecke, die jedes freie Vorwärtsschreiten hemmt. Ift die zarte Pflanze des aus-
keimenden Genies von dem wuchernden Unkraute nicht erdrückt worden, hat sie fich glücklich
emporgearbeitet, dann hat sie doch gezeigt, dafs sie lebensfähig und darum des Lebens würdig ift.
Die Kunftgeschichte lehrt uns noch eine andere Art des Kunftnoviziats kennen. Der Knabe, der
Hino-lino- o-eht zuerst an der Kunft, wie an einer fremdartigen Erfcheinung- kalt vorüber; sein Blick ist
aus andere Lebensbahnen gerichtet, die ihm vielleicht von vorsorglichen Eltern vorgezeichnet wurden.
Er hat fich bereits eine Lebensstellung erworben — da fällt es plötzlich wie Schuppen von seinen
Augen und er erkennt die Kunft als die holde Fee, die allein sein Herz aussüllen und beseligen kann.


Adrian Ludwig Richter.
 
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