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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 9.1886/​1887

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Heft IV
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Bode, Wilhelm: Die großherzogliche Gemälde-Galerie zu Schwerin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3795#0108
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73

HOLLÄNDISCHE NATURALISTEN
UNTER DEM EINFLUSSE DES CARAVAGGIO.

IE Kunst des Michelangelo da Caravaggio, welche um die Wende des sechzehnten zum sieben-
zehnten Jahrhundert Italien in einem so hohen Masse in Aufregung versetzte, wie dies wohl
kaum vorher durch eine Bewegung in der Kunst geschehen war, fand bei der grossen Colonie von
niederländischen und insbesondere holländischen Künstlern in Rom einen ungetheilteren und nach-
haltigeren Anklang als bei den italienischen Künstlern selbst. Der rückhaltslose, derbe Realismus in der
Ausfassung des Caravaggio entsprach dem niederländischen Sinne ebenso sehr wie sein malerisches
Bestreben. Hatte doch bereits ein halbes Jahrhundert früher der Einssuss des Michelangelo Buonarroti
eine ähnliche Richtung in der niederländischen Kunst gezeitigt, die in Künstlern wie Hemessen, Heems-
kerk, Buecklaer u. A. eine gelegentlich geradezu cynische Ausfassung biblischer und historischer Motive
bekundet. Diese ältere Richtung hatte vor der jüngeren, trotz ihrer oft in's Rohe ausartenden Derbheit,
eine gewisse Frische und urwüchsige Kraft voraus; neben ihren Werken erscheinen die Gemälde eines
Honthorst und seiner Gesinnungsgenossen meist nüchtern und absichtlich in der Ausfassung, slach in der
Modellirung, ssau in der Färbung. Sie athmen eben den akademischen Hauch, welchen selbst ihr Lehr-
meister Caravaggio, trotz seiner bitteren Feindschaft gegen die Akademiker und die Akademien, nicht
ganz verleugnen kann. Wie die gesammte Kunst der Zeit, so war auch diese naturalistische Richtung
nicht naiv und ursprünglich, sondern eine abhängige, aus zweiter Hand schöpfende Kunst. Namentlich
waren es die grossen venezianischen Meister und seine Nachfolger, insbesondere Giorgione, welchen sie
ihre Motive entlehnten und deren Färbung sie sich zum Vorbilde nahmen. <
Gerade in Gerard Honthorst, den man als den eigentlichen Repräsentanten dieser Richtung der
holländischen Kunst fast allein namhaft zu machen pssegt, macht sich dieser nüchterne akademische
Geist besonders stark geltend. Seine grösseren Gemälde mit biblischen Vorwürfen, wie der bekannte
„Christus vor Pilatus", „Jacob und Esau" u. a. m., wirken ganz besonders leer und ssach; umsomehr als
das vom Künstler so sehr bevorzugte Kerzenlicht für solche Motive und Bilder in diesem Umfange nur
von unvortheilhaftester Wirkuno- sein konnte. Dennoch sagten sie den Zeita;enossen ausserordentlich zu:
wurde doch dem Gerard Honthorst für solche Bilder das Doppelte und Dreifache von dem bezahlt,
was Rembrandt für seine grösseren Compositionen bekam; und sind uns doch von einzelnen dieser Bilder,
wie von dem eben genannten „Christus vor Pilatus", verschiedene Originalwiederholungen neben Copien
von Zeitgenossen erhalten.
Glücklicher ist Honthorst in den rein sittenbildlichen Motiven, in seinen Musicirenden, Spielern u. s. w.,
deren Motive er dire6l dem Caravaggio entlehnt. Namentlich so lange der Einssuss dieses Künstlers
noch lebendig in ihm war, sind diese Bilder oft von unmittelbarer Wirkung, frisch und kräftig in der
Färbung, breit behandelt und tüchtig modellirt. Die Schweriner Galerie hat eines dieser Bilder auf-
zuweisen, den „Musiker" (Nr. 517), mit dem vollen Namen bezeichnet und nach der kräftigen Behandlung
und Wirkung wohl noch aus den Zwanziger-Jahren.
 
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