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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 11.1888

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Heft 3
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Rosenberg, Adolf: Ernst Hildebrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.3329#0078
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Renaisfancetracht, und der »Tusch«, welchen drei Musskanten aus Leibeskräften von einem Balkon herab einem
Ankömmling entgegenschmettern. Das dritte [teilte eine nackte Schöne »Am Meeresstrand« dar, die nach Ablegung
ihrer letzten Hülle im Begrifs stand, ihre Glieder den Wogen des Meeres anzuvertrauen. Der nackte Körper war mit
vollendeter Zartheit modellirt und ebenso sorgsam in einem feinen, kühlen Ton durchgeführt.
Wenn sich in diesen Arbeiten auch kein hervorragendes Mass von schöpferischer Phantasie offenbart hatte,
so fielen die zeichnerischen und malerischen Vorzüge derselben doch so schwer in's Gewicht, dass man auch ausser-
halb Berlins auf den Künstler aufmerksam wurde. Im Jahre 1875 folgte er einem Rufe als Professor an die Kunst-
schule in Karlsruhe, und hier übte er eine fünfjährige Lehrthätigkeit aus, welche namentlich für die Ausbildung
von Porträtmalern fruchtbringend war. Seine eigene künstlerische Produclion, die er ziemlich gleichmässig zwischen
Porträt und Genre theilte, litt darunter nicht. Neben zahlreichen Bildnissschöpfungen, von denen ein glücklich
arrangirtes Gruppenbild der grossherzoglichen Familie von Baden die umfangreichste ist, entstanden in Karlsruhe
die humoristischen Genrebilder »Am Brunnen«, »Eingeknüppert«, »Hans und Liese«, »Zechende Landsknechte« im
Wirthshaus, deren einer die schmucke Schenkin umarmen will, und unser Bild »G'segn's Gott!« (1880), das uns auch
ein Mitglied des fahrenden Volkes vor Augen führt, welches auf Erden kein bleibend Quartier hat und nur dem
Genusfe des Augenblicks lebt. Mit feinem Humor hat der Künstler angedeutet, wie die Geister des Weines die
pfiffigen Augen und das breite, knochige Gesseht des trotzig und selbstbewusst in seinen Kleidern sseckenden
Gesellen zu verschleiern beginnen, um bald die volle Gewalt über den ganzen Mann zu gewinnen.
Im OQober 1880 vertauschte Hildebrand sein Lehramt in Karlsruhe mit einem grösseren Wirkungskreise. Er
war an die Kunstakademie zu Berlin berufen worden und übernahm als Nachfolger Gussow's die Leitung der Mal-
klasse II. Seine Lehrthätigkeit hatte auch hier, wie von dankbaren Schülern vielfach anerkannt wurde, die erspriess-
lichsten Ergebnisfe. Es scheint jedoch, dass seine Obliegenheiten als Lehrer sein freies Schaffen beeinträchtigt
haben. Soweit das von den öffentlichen Ausstellungen gebotene Material in Betracht kommt, haben wir in dem Zeit-
raum von 1881 bis 1886 nur Bildnisfe von seiner Hand gesehen, meist Frauen- und Kinderporträts, deren vomehmster
Reiz in einer glänzenden coloristischen Bravour lag. Nur im Jahre 1883 brachte er eine grössere Schöpfung zur
Ausstellung, den »Deutschen Kronprinzen im Kreise seiner Familie«, ein Seitenstück zu der oben genannten Porträt-
gruppe der grossherzoglich badischen Familie. Schon seit geraumer Zeit war er mit einer grossen geschichtlichen
Composition aus der Zeit der römischen Könige, »Tullia«, die entartete Königstochter, welche ihr Gespann über den
Leichnam ihres gemordeten Vaters treibt,beschäftigt.Doch verlangte die grosseAufgabe auch entsprechendeMusse,und
so schied er Ende März 1886 aus dem Lehrercollegium der Kunstakademie aus, um sich fortan ausschliesslich seiner
künstlerischenThätigkeit zu widmen, der sehr bald einige hervorragende Schöpfungen ervvuchsen. Da er die bereits für
die Berliner Jubiläumsausstellung von 1886 zugesagte »Tullia« bis zur Ausstellung des nächsten Jahres zurückbehielt,
konnte er auf letzterer mit zwei imponirenden Werken auftreten, in welchen er die Summe seines Könnens zusammen-
fasste. Dass er jedoch das höchste Mass desselben einem Stoffe zugewendet hat, welcher dem Empfinden, der
Grundanschauung und dem geistigen Interesse der Gegenwart völlig fern liegt, ifl um so bedauerlicher, als die Kraft
der dramatischen Schilderung, die Energie der Charakteristik und die malerische Behandlung im Einzelnen wie im
Ganzen hier zu einer so gleichmässigen Höhe getrieben worden sind, wie sie seit langen, langen Jahren kein deutsehes
Geschichtsbild grossen Stils erreicht hat. Grösse der Auffassung paart sseh mit Schwung und dramatischem Zuge
der Composition, und trotz sorgsamer Durchbildung und eingehender Charakteristik der Nebenpersonen verliert die
Hauptfigur, die mit gebieterischer Geberde ihren Wagenlenker und die zurückseheuenden Rolle zu grässlichem
Vorgehen anfeuernde Tullia nichts von ihrer unheimlich-dämonischen Wirkung. Man sage nicht, dass die Kunst
international, unabhängig von den Grenzen ihres eigenen Volksthums sein musse, um die höchsten Ziele zu erreichen.
Venezianer, Spanier und Niederländer haben das Grösste errungen, indem sie Fremdes unbefangen in ihren Volkskreis
bannten und fremdes Leben im eigenen sich widerspiegeln liessen. Unsere vermehrte Wisfenschaft, unsere kritische
Objeclivität gestattet uns eine derartig naive Vergewaltigung der Geschichte nicht mehr. Da wir aber die Helden
der Vergangenheit nicht in der Tracht der Gegenwart unserem Volke näher bringen und bei treuer Wahrnehmung
der culturgeschichtlichen Verhältnisfe die aus der Vorzeit heraufbeschworenen Schatten nicht mit neuem Leben
erfüllen können, wird einer Kunst, die volksthümlich werden will, kein anderer Ausweg übrig bleiben, als ihre Stoffe
aus der frischen, auch schon Geschichte machenden Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit oder aus solchen
Epochen der Weltgeschichte zu schöpfen, mit welchen unsere Zeit einigermassen verwandt ist. Dass sich die Zeit
der deutschen Renaisfance der unsrigen am meisten nähert, scheint aus dem allgemeinen Beifall hervorzugehen,
welchen Darstellungen jeglicher Art aus der Epoche, in welcher geistiges und materielles Leben zugleich eine froh-
 
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