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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 11.1888

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Heft V
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Bode, Wilhelm: Die Fürstlich Liechtenstein'sche Galerie in Wien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3329#0140
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gegeben hat, vergleiche man damit Kaulbach's Illustration zu Goethe's »Sah ein Knab' ein Röslein
steh'n«! Der Künstlcr hat das A^erlangen des anstürmenden Ajax beinahe mehr in dem kupplerisch
geschäftigen Amor als in der Bewegung und dem Blick des griechischen Helden zum Ausdruck
gebracht und hat den eigentlichen Höhenpunkt des dramatischen Moments in den flehentlichen
Blick der königlichen Jungfrau gelegt.
Der Vergleich mit den Gemälden des Decius-Cyclus führt, wie bereits erwähnt, zu der Annahme,
dass die Ausführung des Bildes von der Hand des Antoon van Dyck herrührt. Die leuchtenden
Farben, der tiefe und warme bräunliche Ton der Hautfarbe des Ajax, der zarte weissliche Ton des
weiblichen Teints, die Art der Behandlung sind für van Dyck bezeichnend. Doch ist die Ausführung
hier weniger flüchtig als in jenen grossen Decorationsstücken; und nach der Mässigung in Zeich-
nung und Färbung scheint es mir wahrscheinlich, dass Rubens das Bild zum Schluss hie und da
mit eigener Hand überging.
Zu den gefeiertsten Bildern der Liechtenstein-Galerie gehörte bis vor Kurzem Rubens' Dar-
stellung der »Töchter des Cekrops, welche den kleinen Erichthonius finden«; eine schon zu Rubens'
Zeit durch van Sompel gestochene Composition. Smith schätzt dieses Bild auf 1500 Guineen, höher
als das »Fest der Venus« im Belvedere; und Waagen erklärt es »in der Composition so glücklich
abgewogen, in den Formen so viel edler als meist, im klaren, warmen Ton so gemässigt, endlich in
allen Theilen so gediegen ausgeführt, dass er es mit dem Bilde von Rubens' Söhnen für das schönste
Werk in dieser Sammlung halte«. Diese ausserordentliche Werthschätzung des Bildes hat in neuester
Zeit einer kühlen Achtung Platz gemacht.
Diese verschiedenartige Werthschätzung betrifft aber nicht nur dieses einzelne Gemälde des
Rubens; sie geht vielmehr hervor aus einem wesentlichen Umschlag in der Anschauung und Achtung
der Werke des grossen vlämischen Meisters überhaupt, welche der Ausdruck einer veränderten
malerischen Richtung unserer Kunst und Kunstanschauung ist. Die ältere Malergeneration dieses
Jahrhunderts, welche strenge Zeichnung und fleissige Durchführung weit über coloristische Vorzüge
stellte, bevorzugte die frühere Zeit des Rubens, in der seine Gemälde noch bestimmte Zeichnung,
kühle Färbung und sorgfältige, beinahe glatte Behandlung aufweisen; Gemälde wie diese »Findung
des Erichthonius«, wie die »Vier Welttheile« im Belvedere zu Wien, wie »Neptun und Amphitrite«
in der Galerie zu Berlin und ähnliche Jugendwerke waren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die
beliebtesten Gemälde des Künstlers. Die malerische Richtung unserer neuesten Kunst hat auch im
Geschmack an der älteren Malerei eine so gründliche Änderung hervorgebracht, dass solche Gemälde
des Rubens neben den coloristischen Bildern seiner späteren Zeit kaum noch beachtet werden.
Den stärksten Ausdruck hat diese Anschauung bei der Überführung des zuletzt genannten Bildes aus
der Galerie Schönborn in die Berliner Galerie erhalten, wo die Aufstellung desselben bei dem grössten
Theil der Berliner Künstlerschaft einen Sturm der Entrüstung erregte: an den »falschen Rubens«
wollte Niemand glauben! Und doch besitzen wir gerade für diese Jugendwerke des Meisters die
zahlreichsten und untrüglichsten Documente, haben wir aus dem Umstande, dass sseh Rubens eben
erst in Antwerpen niedergelassen und erst dadurch Gelegenheit hatte, Schüler und Gehilfen aus-
zubilden, die sicherste Gewähr, dass die meisten dieser frühen Bilder sogar ganz eigenhändige Werke
von Rubens sind; wenigstens diejenigen bis zum Jahre 1610.
Die Entstehung der »Findung des Erichthonius« fällt freilich wohl schon um ein oder zwei
Jahre später. Smith setzt dieselbe »um das Jahr 1614«; dagegen meint Waagen, das Gemälde sei
gleichzeitig mit dem Bilde der beiden Söhne des Rubens, also um das Jahr 1625 oder 1626, ent-
standen. Diese ganz ausfallende Verkennung ist übrigens nicht ein vereinzelter Irrthum Waagen's;
 
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