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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 17.1894

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Heft V
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Bode, Wilhelm von: Die Kleinmeister der holländischen Schule in der Galerie des Fürsten Liechtenstein in Wien, [1]: Holländische Bildnismaler, Das holländische Sittenbild, Die holländische Landschaftsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3327#0122
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der Zeit am meiden ansprach. Erst der holländischen Malerei war die Erweiterung und Vertiefung
des Sittenbildes bis zur vollen Selbständigkeit vorbehalten, die rasch zu einer lehr mannigfachen
Entwicklung dieser Kunstgattung führte.
Für die erste Zeit der holländischen Malerei ist es charakteristisch, dass sie nicht die Individualität
des Einzelnen, sondern mehr das typische Treiben ganzer Gesellschaftsclasfen schildert, und dass sie
dafür gerade die Classen der Gesellschaft wählt, deren Treiben sleh am wenigsten der Ösfentlichkeit
entzog und deren Benehmen fast jeden Zwanges und jeder Rücklicht baar war. Das Bauernleben
und das Treiben der Soldateska bildet durch mehrere Jahrzehnte fast ausschliesslich den Stosf des
holländischen und gleichzeitig auch des vlämischen Sittenbildes; ja letzteres ist kaum über die
Schilderung dieser Clasfen hinausgekommen. In der Darsteilung des Bauernlebens schliessen (ich die
Künstler ihren Vorgängern des XVI. Jahrhunderts an; aber statt der Wiedergabe der allgemeinen
malerischen Erscheinung finden wir bei ihnen charakteristische Situationen, regelmässig ohne
moralisirende und allegorische Anspielungen: Kneipscenen, einfache Motive des Familienlebens, das
Treiben in den Strassen, auf den Jahrmärkten und ähnliche Motive. Die Schilderung des Soldaten-
lebens ist dagegen etwas Neues; erst mit dem grossen Krieg und als Folge des Krieges waren die
spanischen Soldaten in's Land gekommen, waren auch in den abgefallenen Provinzen Söldner
geworben worden, die in den Städten ihre Standquartiere hatten. Ihre bunten Trachten, ihr freies
Leben zog die Maler an, von denen gar mancher mit der jeunesfe doree des Landes in das ausge-
iassene Treiben der Soldateska mit hineingezogen wurde. Welche Gesellschaft in jenen Darstellungen,
die in unteren deutsehen Katalogen früher als »Vornehme Gesellschaft« bezeichnet wurden, in
Wahrheit wiedergegeben ist, darüber lassen uns die alten holländischen AucTJonskataloge nicht im
Zweifel, indem sie solche Bilder kurzweg als »bordeeltjes« oder ähnlich bezeichnen. Freilich war zu
jener Zeit das Treiben in diesen Häusern, die in der Nähe des Marktes und der Hauptkirche zu liegen
pflegten, vielfach harmloser als die Vorstellung, die wir jetzt damit verbinden. Sie vertraten zugleich
die Cafe chantants und Kneipen von heutzutage; selbst manchen harmloseren Vergnügungen, wie dem
Tanz, dem Rauchen (das in manchen Städten bis in die Mitte des XVII. Jahrhunderts verboten
war), Spiel und Weingelage, konnte die vergnügungslustige Jugend in Holland nur hier nachgehen.
In der Liechtenstein-Galerie sind von beiden Gattungen eine grössere Zahl von Gemälden
vorhanden, theils in der Galerie ausgestellt, theils, ihrer Motive wegen, in die Magazine verbannt.
A. van Oßade, der bedeutendste holländische Maler von Scenen aus dem Bauernleben, ist mit vier
Bildern vertreten, die sämmtlich seiner früheren Zeit angehören. Alle vier stellen das Innere von
Bauernhütten dar, worin sich das derbe Volk beim Tanz, beim Spiel oder mit Rauchen vergnügt
(Nr. 483, 494, 539 und 596). Das grosse Hauptbild: »Der Tanz in der Bauernhütte« trägt die
Jahreszahl 1635 (es ist noch A. van Ofladen bezeichnet, was nur auf den frühesten Bildern des
Meisters vorkommt); die »Kartenspieler« sind aus dem Jahre 1637; etwa gleichzeitig sind auch die
beiden anderen Bilder entstanden, die nicht datirt sind. Von Hals, dessen Schüler Ostade war, haben
diese Werke wohl den Humor und die frische Erfassung der Situation, nicht aber die tresfende
Charakteristik der Persönlichkeit. Auch ist der Schüler in der Färbung und Beleuchtung von
vornherein unabhängig von seinem Lehrer; das ausgesprochene Helldunkel sowohl, wie der leichte
bläuliche Ton dieser früheren Bilder ist Ostade ganz eigenartig. Aus Ostades mittlerer Zeit, die
durch den Einfluss Rembrandts bestimmt wird, wie aus seiner späteren Zeit fehlen bisher Beispiele
in der Galerie.
Wie A. van Ostade, so hat etwa gleichzeitig ein anderer Haarlemer Maler, Jan Molcnacr, den
Einfluss von Frans Hals erfahren, jedoch in anderer Weise. Molenaer steht zwischen jenen
 
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