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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 21.1898

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Singer, Hans Wolfgang: Englische Radirer I., [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4070#0071
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Behandlung des Hintergrundes, überhaupt seine Anlage eines Blattes, ziemlich getreu copirt.
Hierauf radirte Cameron mehrere ausgezeichnete Blätter schottischer Architekturen und einige alte
holländische Bauten. Obwohl Freunde und Collegen von dieser als von seiner Meryon-Periode
reden, obwohl also auch hier die Anlehnung unverkennbar ist, so ist das meines Erachtens doch
bislang die beste Zeit seiner Thätigkeit gewesen. Wenn ein Genie einmal eine besondere
Ausdrucksform gewonnen hat, so können die Nachfolger sie schliesslich nicht deshalb wieder
fallen lassen, weil sie eben schon einmal gebraucht wurde. Jedenfalls hat Cameron während der
Zeit, da er im allgemeinen »Meryonisch« arbeitet, genügende Selbstständigkeit gegenüber seinem
Vorbild bewahrt, um Anrecht auf unsere Anerkennung zu haben.
Nach dieser folgte unter dem Eindrucke einer holländischen Reise die Rembrandtische Periode.
Diese kann man wohl keinem Radirer übel nehmen. Wollte man von ihm verlangen, dass er Anklänge
an den grossen Lehrer Aller vermeide, so müsste man ihm verbieten, überhaupt gut zu arbeiten.
Denn die meisten Pfade, die zu einer hervorragenden Leistung in der Radirung führen, hat Rem-
brandt zeitweilig eingeschlagen. In »Rcmbrandt's mill« und ähnlichen Landschaften hat Cameron
während jener Zeit vortreffliche, ansprechende Blätter geschaffen. Dann kam als erste grössere
Arbeit die Folge »Etchings in North Italy«. Neben den vielen ausgezeichneten dieser siebenund-
zwanzig Platten befinden sich doch auch mehrere, bei denen sich uns die Meinung aufdrängt, es
sei ihm nichts Rechtes eingefallen und er habe mit der betreffenden Arbeit nur die Quantität,
nicht die Qualität der Folge verstärkt. Manchmal ahmt er vielleicht unbewusst Whistlers
italienische Arbeiten nach. Aber wenn man auf den ersten Blick mit der Wirkung zufrieden sein
kann, so verliert sie sich bei näherer Betrachtung allmählich. Denn beim längeren Ansehen
klärt sich uns die Struktur, die Technik auf, und da merken wir, bei jenem alles Plan und Stil,
jeder Strich abgewogen, bei Cameron noch vielfach nichtssagendes Zickzack, ein sich Verlassen
auf Zufälligkeiten und nicht immer durchdachte Arbeit. Seine Platten sehen manchmal so
aus, als ob sie ihn selbst beim Probeabzug überraschen mussten. Das Innere der Marcuskirche,
die Ansicht von der San Giorgio-Insel entsprechen nicht den Erwartungen, die wir an einen
Künstler, wie Cameron, zu stellen berechtigt sind. Übrigens druckt er seine Platten selbst und
steht sich dabei im Wege. Denn gerade um die Wirkung hervorzurufen, nach der er strebt, wäre
ihm mit der Hilfe eines professionellen, verständigen Druckers wie Goulding sehr gedient. Gut
gelungen und schön sind die Vignette mit der Seufzerbrücke und das Canalbild, auf dem die Erde
schon im Zwielicht, der Himmel von Sonnenlicht getrosfen noch klar und hell ist. Auch »Porto
del Molo, Genova« ist gut. Wie schon früher, weiss er die Schrift schön decorativ auf einigen
Blättern anzubringen.
Dass Cameron sicher zu den ersten Radirern des heutigen Englands gehört, wird man aus
den Abbildungen ersehen; aber auch auf die verschiedenen Anklänge weisen sie hin. Die Ansicht
von Chelsea ist wohl nur im zufälligen whistlerisch, und die Unterschiede in der Denkungsart,
sozusagen, der beiden Künstler sind evident. Das Innere der Schmiede aber macht den Eindruck,
als ob Cameron mit einem Whistler'schen Interieur habe wetteifern wollen und es ihm nicht
gelungen sei. An dem Blatte ist die Klarheit der Linie, ausser in dem allertiefsten Schatten der
Flecke vielleicht, zu loben.
Hosfentlich kommt Cameron bald dazu, in einem ihm ganz eigenen Dialett uns anzureden,
so dass er die Zahl der ganz grossen Radirer um einen bereichert.

Hans W. Singer.
 
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