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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 21.1898

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Sponsel, Jean Louis: Georg Lührig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4070#0110
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frühere Periode mit der unverschuldeten Noth und dem Elend der Armen beschäftigt und diese nach
Kräften zu lindern sucht. Die Wahl der Darstellungen hat gewiss etwas Tendenziöses, die Dar-
stellungen selbst sind jedoch menschlich wahre Schilderungen, sei es, dass sie in realistischer Treue
das Leben selbst im Bilde vorführen oder dass sie davon eine dichterische Umschreibung geben.
In seinen beiden Ölbildern zeigt Lührig Scenen aus dem entbehrungsreichen Leben der
Arbeiterwelt. Das eine davon, das noch nirgends ausgestellt war, wird von einem dem Künstler
befreundeten Herrn in Göttingen aufbewahrt, das andere, das auf der Ausstellung in Dresden 1894
bekannt wurde, ist von der Dresdner Hermannsstiftung angekauft und der Kunstgenossenschaft
zugewiesen worden. Das Bild zeigt im Scheine des Abendhimmels eine Landstrasse, auf der drei
Steinklopfcr ihre einförmige Arbeit verrichten, während ein vierter sich schon zur Heimkehr
anschickt. Der gelbliche Sehein des Himmels und sein Widerspiel in den Pfützen der Strasse
lassen die dunkeln Gestalten und die öde Landschaft in malerischem Lichte erscheinen.
Dem Todtentanze Lührigs fehlt die einheitliche Composition, ein Mangel, der wohl auf Kosten
der Jugendlichkeit des Künstlers zu setzen ist, den aber auch die Folge seines »armen Lazarus«
erkennen lässt. Auch hat der Künstler nicht einmal den Versuch gemacht, das menschliche Leben in
seinen charakteristischen Typen, wie es Holbein gethan hatte, unter der Macht des Todes vorzu-
führen und dadurch eine dichterische Einheit zu erringen. Heute ist sich Lührig der einzelnen
Mängel seiner Schöpfung wohl bewusst. Er hat sich darum noch nicht entschliessen können, die
ganze aus 14 grossen Cartons bestehende Folge durch Vervielfältigung zu verbreiten, sondern
hofft, noch einmal den Stoff von neuem behandeln zu können.
Wenn bei einem Thema wie der Todtentanz vor allem der Satz Geltung hat, dass ein Künstler
was erleben muss, um etwas darstellen zu können, so hat auch bei einzelnen Blättern Lührigs
dieser Satz sich bewahrheitet. Vielleicht sind gerade die ersten Eindrücke für die Conception der
ganzen Folge massgebend gewesen. Eines Tags durcheilt die Stadt Göttingen die Nachricht, dass
in einem nahegelegenen Hainbuchenwalde ein verkommener Mensch sich aufgehängt habe. Unter
dem frischen Eindruck der schauerlichen That hatte sich der Künstler die Stelle im Walde ange-
sehen. Seine Phantasie wurde aber von dem Vorfall so stark gepackt, dass er sich dichterisch den
Moment vor Augen führte, wo der Lebensmüde vor der That steht. Schon hat er den Strick in
Händen, aber er zaudert und es schiessen ihm Gedanken durch den Kopf, die ihn am Leben fest-
halten. Da tritt der Tod neben ihn und seine Geberde sagt deutlich, »was stehst du und sinnst, es
bleibt dir ja doch nichts anderes übrig!«
Das Bild, wie der Tod auf seine Beute lauert, bis sie ihm als reife Frucht zufällt, ist von jeher
nicht minder häufig gewählt worden wie jenes, wo der Tod mitten im Leben sein Opfer überfällt.
So hat Lührig in einem Luftcurorte im Harze unheilbare Kranke dahinsiechen sehen, bis der Tod
sie von ihren Leiden erlöste. Daraus entstand ihm das Bild, wie der Tod als Wärter den Leidenden
durch den Tannenwald im Krankenstuhl dahinfährt. Den Absturz eines Maurers hat der Künstler
zu einer dramatisch bewegten Scene umgestaltet, in der der Verunglückte aus der Sonnenhitze
in den Schatten eines Baumes getragen worden ist und wo der Tod, der als Maurer verkleidet
das Unglück herbeigeführt hat, sich jetzt, wo er seiner Beute sicher ist, eiligst davon macht.
Noch dramatischer gestaltet sich das nächste Bild, wo der Tod bei einem Hausbrande erkannt
worden ist und sich gezwungen sieht, seine Beute zu vertheidigen. Die beiden nächsten Cartons
erinnern an ältere bekannte Motive, der Tod winkt freundlich einem Kinde, ferner der Tod und ein
nacktes schönes Weib. Eine phantastische Darstellung zeigt dann den Tod als Herrscher im ewigen
Eise thronend.
 
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