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ein Mitglied der Royal Aca-
demy. Als Maler ist Shannon
bis vor kurzem nach seinem
eigenen freien Willen un-
bekannt geblieben. Er ist
langsam gereift und hat ver-
hältnismäßig weniggeschaffen.
1865 geboren, hat er sein
dreißigstes Jahr erreicht, bevor
er ein Gemälde von einiger
Bedeutung ausstellte, und die
Leinwanden, die seit 1897 im
New English Art Club, in
den Ausstellungen der Society
of Portrait Painters in der
New Gallery oder bei Yan
Wisselingh zu sehen waren, erreichten noch kaum die Zahl dreißig. Der Grund dieser
Zurückhaltung ist der beste von allen Gründen, eine strenge Selbstkritik und die Ent-
schlossenheit, alles Minderwertige und Unreife zu unterdrücken. Nichts, was er je ausstellte, ist
uncharakteristisch gewesen oder hat jenes unbestimmbaren Unterscheidungszeichens und der
Größe des Stiles ermangelt, welche Bildern anhaftet, die noch für spätere Generationen als ihre
eigene da sind und da sein werden. Ich werde jedoch gegen Schluß darauf zurückkommen, von
Shannons Malerwerk zu sprechen, denn ich bin zunächst und hauptsächlich mit ihm als Zeichner
beschäftigt, sowohl auf Papier als auch auf Holz und Stein. Doch kann seine Malerei niemals aus
den Augen gelassen werden, denn er selbst hat sie stets im Gesicht behalten und als das letzte
Mittel betrachtet, sich mit irgend einem Thema von dauerndem Interesse auseinanderzusetzen.
Einmal mit einem Motiv zufrieden, hat er immer und immer wieder versucht, die vollendetste
Art und Weise zu finden, es auszuarbeiten. Es ist diese gewissenhafte Bemühung um den richtigen
Ausdruck und nicht etwa Ideenarmut, die ihn veranlaßt hat, denselben Gegenstand mit ver-
schiedenen Mitteln zu behandeln.

Er probiert ihn vielleicht zuerst als Lithographie oder als Pastell, dann nimmt nach wieder-
holten Detailstudien in Kreide oder Tusch die Komposition möglicherweise ihre endgiltige Gestalt
in einem Ölgemälde an. Viele Lithographien, ebenso einige Holzschnitte sind ganz vorläufige
Niederschläge einer Idee, welche des Künstlers Einbildungskraft verfolgen wird, bis sie sich zuletzt
selbst in die ihr eigentümliche Form und Farbe kleiden wird. »The Toilet«, »The Shell Gatherers«,
»The Music Room« sind Sujets, welche wiederholt auf mannigfache Weise vorgenommen wurden;
»Salt Water« war lange als Lithographie und Pastell vorhanden, bevor letztes Jahr zu Wolver-
hampton das fertige Gemälde zum erstenmal zu sehen war. Die prächtige Rötelzeichnung eines
stehenden Weibes mit dem Haupt im Schatten, welche als eine von unseren Illustrationen repro-
duziert ist, hat gerade jetzt in dem Gemälde »The Bath of Venus« ihre endgiltige Bestimmung
erreicht. Es ist für Shannon charakteristisch, daß auch die vorläufige Fassung solch eines Themas
auf ihre eigene Weise stets vollkommen durchgeführt ist und zwar meisterlich. In was immer für
einem Material er arbeitet, er tut dies mit beständiger Erkenntnis der Fähigkeiten und Grenzen
des Mittels. Er weiß, wie die großen Meister gezeichnet haben, aber er wendet immer jede

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