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MARCELLIN DESBOUTIN.

(Aus Anlaß der Ausstellung seiner Arbeiten in der Ecole des Beaux-Arts.)

Das war ein merkwürdiger Charakterkopf, dieser Marcellin Desboutin, dessen Werke jetzt in
der Ecole des Beaux-Arts zur Schau gestellt sind. Als Sohn einer sehr guten bourbonnaisischen
Familie und glücklicher Besitzer einer Villa bei Florenz lebte er einst eine Zeit lang im Überfluß,
später aber fast im Elend. Einmal nannte er eine große Sammlung alter Bilder sein eigen, die er
sehr billig erworben hatte und die heute mit Gold aufgewogen würden. Von Not gedrängt ver-
kaufte er sie um ein paar tausend Franken. Wie so viele Künstler lebte er eben sorglos in den Tag
hinein und wußte nichts von Ordnung. Er folgte nur immer seinem beweglichen Temperament.
Aber diese Reizbarkeit und leichte Empfänglichkeit, die so schlechte Geschäftsleute macht, macht
andrerseits die trefflichsten Künstler. Man könnte die Künstler in drei Gruppen einteilen: die
leicht empfänglichen Gefühlsmenschen, die guten Handwerker, die klugen Köpfe. Schon eine
dieser drei Eigenschaften vermag dem Künstler Erfolg zu verschaffen. Ein ganz großer Künstler
wird aber wohl alle drei in seiner Person vereinigen müssen. Der verstorbene Benjamin Constant
zum Beispiel war nur ein guter Handwerker und sein Erfolg war so groß; Bracquemonds aller-
stärkste Seite ist sein Kunstverstand und damit ist er durchgedrungen; Willette endlich ist ganz
Gefühl und hat sich damit die Herzen im Sturme erobert.

Desboutin hatte auch den Fehler seines Temperamentes, er war zu leicht fremden künst-
lerischen Einflüssen zugänglich. Das zeigt sich besonders in seinen Gemälden. In seinen
Radierungen aber ist er fast immer ganz er selbst. Wenn er sich auch von Rembrandt anregen
läßt, so hütet er sich doch davor, von ihm die künstlerischen Mittel zu entlehnen; er hat von ihm
nur gelernt, nie das zu geben, was unnütz oder gleichgiltig ist. Die zahlreichen Bildnisse, die
Desboutin nach dem Leben radiert hat, sind ebenso bemerkenswert durch die Sicherheit der
Technik wie durch die treffende Charakteristik der Persönlichkeit. Dabei gibt er ihnen nie eine
studierte Pose und sucht immer die Bewegung und den Ausdruck zu erhaschen. Diese Galerie
von Bildnissen ist für die Kenntnis der bedeutenden Männer unserer Zeit in demselben Maße
lehrreich, wie die Ikonographie Van Dycks für dessen Zeit es ist. Die Mehrzahl von Desboutins
Bildnissen bildet einen lebensvollen Kommentar zu dem so lebensvollen Tagebuch der Goncourt.
Von diesen 120 radierten Bildnissen seien hier nur die bedeutendsten erwähnt. Wir finden da
Claretie, den Maler Courbet, den Schauspieler Dailly, zweimal Degas (besonders das Bildnis in
ganzer Figur ist von so verblüffender Wahrheit und so unmittelbar aufgefaßt wie die Zeichnungen
Renouards), Alexander Dumas, Durand-Ruel, den Schriftsteller Duranty, Norbert Goeneutte, einen
tüchtigen Künstler und nicht weniger Boheme als Desboutin, den Radierer Henri Guerard, Lord
Frederick Leighton, den Maler Lepic, Ed. Manet, Ch. Monselet, den Impressionisten Renoir, Puvis
de Chavannes, Jean Richepin, Henri Rochefort, der ein Vetter Desboutins ist, Georges Sand, Jules

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