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FRANZ HOCH.

In den Zeiten des vorigen Jahrhunderts, als die Künstler aller Gebiete die große naturalistische
Revolution machten und die Maler, ihre besondere Mission erfüllend, unsere Farbenanschauung
von Grund aus veränderten, konnte man oft eine wahrhafte Berserkerwut in denen wahrnehmen,
welche wohlwollenden Gemütes, Erbauung, Genuß suchend in die Bilderausstellungen gierigen und
bitter enttäuscht sie wieder verließen, ohne für ihre suchende Liebe etwas gefunden zu haben. Was
war es denn eigentlich im Kerne, was sie so entbehrten? Gewiß empfanden viele wohl den Mangel
an gegenständlichem Reiz, der, bei Böotiern die Hauptsache, doch auch für den verständigen Laien
öfters die Brücke zum eigentlichen Genuß, die Klinke an der Tür zum eigentlichen Reich des Künst-
lers wird. Manche fanden sich auch von der Farbengebung abgestoßen, weil sie anders war als in den
Museen; sie wurden gereizt durch die unverschmolzen nebeneinander gesetzten Flecken und Pinsel-
hiebe. Aber all das genügte doch nicht, um den leidenschaftlichen Haß zu erklären. Denn sie waren
doch auch schließlich bereit, die in Schulmeisterpädagogik wurzelnde Inhaltsästhetik über Bord zu
werfen und sich von dem Schwur auf das braune Medium entbinden zu lassen. Was sie unbewußt
so stark vermißten, wär etwas anderes. Etwas, das sich gerade durch die vielen Abbildungen aus der
Antike und Renaissance unbewußt, aber unauslöschlich eingeprägt hatte, uns fast zu einem
Instinkt geworden war — der Rythmus. Die von der Renaissance abgeleitete Malerei hatte das
Gefühl für ihn noch sehr stark gehabt und gepflegt. Für den Naturalismus jedoch war er ein völliger
Nonsens. Was sollte der Rythmus beim Ausschnitt, beim leidenschaftslosen Untersuchen der
Geheimnisse flutenden, zitternden Lichtes, beim beständigen Ringen und Jagen nach neuen Farben-
sensationen? Erst als sich die Erfahrungen wundersam gehäuft, als man sich in dem neu auf-
blühenden Garten ergehen konnte und der Maler wieder ein ganz und gar unserer Zeit angehöriges,
von ihr im heißen Kampf errungenes und zum Ausdruck feinster Erregungen dienendes Material,
einen unerhörten berauschenden Reichtum sein Eigen nannte und als jeder einzelne sich seinen
naturalistischen Schulsack verhältnismäßig leicht und schnell zu füllen wußte — erst da tat sich
wieder auf allen Gebieten in Deutschland mit mächtiger Regsamkeit kund, daß in der Farbe allein
sich nicht alle unsere Empfindungen austönen können; daß Starkes und Mächtiges, was sich nicht
auf die Dauer zurückdrängen ließ, nicht anders als durch das Mittel des Rythmus bewältigt
werden könne. Nun herrschte große Verlegenheit. Mit der Malerei hatte der rythmische Drang
auch die Skulptur, die Architektur und natürlich auch die Führerin aller, die Literatur, verloren —
ausgenommen einzelne, die aber von geringem Einfluß auf die Entwicklung waren und erst nach
der grundsätzlichen Wendung wieder gehört und gesehen wurden. Der größte Teil des Publikums
und fast die gesamte Kunstkritik hatte sich mit Müh' und Not und deutscher Beflissenheit in dem
Ausschnittsimpressionismus festgebissen und war glücklich, endlich wieder einen Maßstab gefunden

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