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hinabstürzen. Der Künstler hat hier die ihm eigentümlichen Stilelemente in der Lebendigkeit des
Umrisses und der Bewegung bis zu einem Höchstmaß entwickelt.

Hat man einmal die Überzeugung gewonnen, daß sich Schöpfers Ideen und Formen allmäh-
lich ausgereift haben, so wird man nicht erstaunt sein, auf einem seiner schönsten Blätter, dem
Märchenwald' (Abb. S. 71), das ganz späte Datum März 1887 zu finden. In den noch folgenden
Lebensjahren hat er nur wenig noch gezeichnet, so daß die achtziger Jahre als die Spätzeit seiner
künstlerischen Tätigkeit anzusehen sind. Auf jenem Blatt ist ein Lehrer mit seiner Schülerschar
in einen Wald geraten, vor dessen Märchengestalten er seine bebrillten Zöglinge zurückzuhalten
versucht. Aber nicht minder entsetzt über die Eindringlinge entfliehen die Nixen. Angst ergreift
das Rotkäppchen, unmutig verschwindet Lohengrin auf seinem Schwanennachen, voll scheuer
Neugierde betrachten Bauernkinder, die sich im Märchenlande daheim fühlen, von ihrem Baum-
versteck aus die aufmarschierte städtische Jugend, an deren Mützen Schmetterlinge aufgesteckt
sind. Ganz rechts steht ein Märchenkönig mit Pfeife und Schlafrock, der wehmütig lächelnd
zuschaut, als ob es Schöpfer selbst wäre, der sich hieher von der Welt der Technik — Schorn-
steine im Hintergrund kündigen sie an — zurückgezogen hat. In ähnlicher Weise wie einst Moritz
von Schwind liebte Schöpfer diese Märchengestalten, denen er mit Absicht die anmutsvollste
Lebendigkeit gab, die durch den Kontrast zu der stocksteifen, finsteren Gestalt des Schulpedanten
um so schöner wirkt. An Schwind erinnert auch die hier so zarte melodische Führung der Linie.
Nur ist dessen Kunst von einem lyrischen Grundton erfüllt, den Schöpfer seiner Veranlagung und
seiner Zeit nach, die zum Skeptizismus neigte und stärkere dramatische Wirkung anstrebte, sich
nicht bewahren konnte. Und doch gehören Schwind und Schöpfer zusammen. Beide waren von
ihren Aufgaben innerlich ergriffen, aus dem ganzen Umkreis des Lebens wußte sich ihre Kunst
Kraft zu holen. Trug Schwind die seine vor allem in das Reich von Musik und Poesie, so stieg
Schöpfer in seinen Zeichnungen hinab in die Arena, wo es galt, menschliche Laster und Torheiten
zu bekämpfen und männlich für die eigene Überzeugung einzustehen. Nicht als trockener Moral-
prediger, sondern lachend hat der Hartberger Philosoph der Welt die Wahrheit gesagt. Auch die
eigene Person hat er nie feierlich genommen. In welcher Weise er über sich und seine Kunst in guter
Laune dachte, hat er in einer Skizze dargestellt, die mit den Worten unterschrieben ist: »Wie mich
die Muse erhöht«. Zwar wie ein Kinderspielzeug wird auf ihr der kleine Schöpfer in der Luft
herumgeschwenkt, aber die Muse hat ihren Jünger doch mit beiden Händen festgepackt und beide
haben, worauf es Schöpfer allein ankam, ihre Freude aneinander.

i Kohle. 142: 192. Eberhard Hempel.
 
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