Asta Nielsen; die Zeichnung in zwei Schattierungen braun, Ölkreidestift auf gelblichem Papier
(Br. 490 mm, H. 655 mm), es ist Ehrlichs Lieblingsmaterial. Die Augen sind dunkel verhängt, als ob sie
noch schmerzten vom gefährlichen Licht der Scheinwerfer; die Haut ist zerquält von der Schminke;
Berufsleiden. Es ist nicht die Apotheose der größten Filmtragödin,derenNamen, deren Leistung rund um
den ganzen Erdball rollt; es ist nicht die Kehrseite dieser von Millionen Menschen bewunderten und be-
neideten Existenz; nein, kein Plakat, keine Tendenz; weder Verhimmelung noch Moral, weder Vanitas
noch Memento. Es ist nur die Frau, die mit allen Kräften nach einem künstlerischen Ziel hin
gearbeitet hat und gereift ist in dieser Arbeit; es ist die Frau, die sich vielleicht nach Ruhe sehnt
und doch vor dem Abschied bangt. Es ist ein Mensch voll Güte. Vielleicht wirklich voll Güte und
vielleicht nur darum voll Güte, weil er ganz nahe gesehen ist, bis ins Tiefste, wo alle Menschen,
auch die, von denen man es gar nicht glauben möchte, gut und rührend sind . . . Lnd die Film-
königin? In der klaren Linie vom Kopf zum Hals, dort setzt die Energie an, die diese menschliche
Vielfältigkeit zur künstlerischen Schlagkraft anspannen kann. Immer wieder aus der Erschöpfung
heraus anspannen muß.
GerdaMüller, die Charakterdarstellerin vom Staatstheater in Berlin; Ehrlich hat sie im Jänner 1924
und dann in den Sommermonaten oft und oft gezeichnet. In diesem Gesicht haben viele Rassen
sich vermischt und jede hat darin eine starke Spur zurückgelassen. Es riecht nach Erde, nach russischer
Erde, nach malaiischer, auch nach französischer Erde; aber immer nach Erde. Nach dem Tier, das rein-
rassiger, ursprungsnäher ist als der Mensch, nach derWildnis. Da gibt es Bildnisse, die hinterhältig und
gefährlich wie böse Mongolen wirken und verbittert, vergrämt wie enttäuschte Indianer; die Augen
glimmen wie Tigeraugen zwischen Lianensträngen oder schauen schwer wie stumpfe Ergebung hinter
Eisenstangen. Die Zeichnung der liegenden Gerda Müller1 ist ganz anders. Da ist über alle ererbten
und erworbenen Gelüste, über den Schmerz und die Größe das Tuch der Ruhe gezogen. Der
Körper liegt eingesunken und der Blick ist friedlich, da ihm das Ziel genommen worden. Die starken
Backenknochen sind gemildert, die eckige Form besänftigt, das Haar schlicht. Eine einfache Frau,
die nur um den Mund noch Leid zeigt, aber auch dieses ist still.
Die fremde Rasse hat für unser ungeschärftes Auge die reinere Form; Ehrlich zeichnet und malt,
zeichnet immer wieder eine Chinesin,Halbblut zwischen China und Frankreich, wieder eine Filmschau-
spielerin, exotische Diva in Berlin. In den Bildern hat sie das Pathos der Rolle, die das Leben und der
Beruf ihr aufzwingt. In den Zeichnungen ist sie wieder nur der unverhüllte Mensch, der diese Rolle
spielen muß oder will — das läßt sich nicht so klar auseinanderhalten. Die kleine Bleistiftzeichnung ist
imFrühjahr 1925 entstanden; es ist das späteste der ausgewähltenFrauenbildnisse. Es ist ein flüchtiges
Motiv festgehalten, der Kopf, wie er auf den verschränkten Armen liegt. Das Motiv ist flüchtig, aber
die Form ist klar, sie ist edel wie eine Skulptur. Eine Marmormaske mit einem leisen Schweben von
Licht und Schatten, von Atem und Leben über dem weißen Stein. Andacht ist in dieser Zeichnung.
Andacht und Distanz. Distanz ist geschwunden in der Bildniszeichnung2 Niddy Impekoven.
Hier fließt des Künstlers behutsame Zärtlichkeit um das liebliche Kindergesicht, um die ganz
schmalen Schultern. Niddy Impekoven ist vielleicht schon zwanzig Jahre alt, sie ist sogar eine ver-
heiratete Frau, aber um ihre Erscheinung liegt noch der Zauber des Unberührten, des Taufrischen,
eben des Kindes — das Gerhart Hauptmann bei seinem ersten Schritt in die Öffentlichkeit begrüßt
hatte. Wenn Niddy Impekoven tanzt, so ist es Schelmerei und Schwermut, immer aber ist es der
Körper, der von den Fingerspitzen bis in die Fußspitzen den Ausdruck bringt. Das Gesicht bleibt
erstaunt dabei, verlegene Frage. Ehrlich zeichnet eine Lithographie '■'• von dem tanzenden Wunderkind.
1 Braune und schwarze Ölkreide; Br. 655 mm, H. 490 mm. — - Br. 490 mm, H. 665 mm. — 3 Br. 500 mm, H. 680 mm.
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(Br. 490 mm, H. 655 mm), es ist Ehrlichs Lieblingsmaterial. Die Augen sind dunkel verhängt, als ob sie
noch schmerzten vom gefährlichen Licht der Scheinwerfer; die Haut ist zerquält von der Schminke;
Berufsleiden. Es ist nicht die Apotheose der größten Filmtragödin,derenNamen, deren Leistung rund um
den ganzen Erdball rollt; es ist nicht die Kehrseite dieser von Millionen Menschen bewunderten und be-
neideten Existenz; nein, kein Plakat, keine Tendenz; weder Verhimmelung noch Moral, weder Vanitas
noch Memento. Es ist nur die Frau, die mit allen Kräften nach einem künstlerischen Ziel hin
gearbeitet hat und gereift ist in dieser Arbeit; es ist die Frau, die sich vielleicht nach Ruhe sehnt
und doch vor dem Abschied bangt. Es ist ein Mensch voll Güte. Vielleicht wirklich voll Güte und
vielleicht nur darum voll Güte, weil er ganz nahe gesehen ist, bis ins Tiefste, wo alle Menschen,
auch die, von denen man es gar nicht glauben möchte, gut und rührend sind . . . Lnd die Film-
königin? In der klaren Linie vom Kopf zum Hals, dort setzt die Energie an, die diese menschliche
Vielfältigkeit zur künstlerischen Schlagkraft anspannen kann. Immer wieder aus der Erschöpfung
heraus anspannen muß.
GerdaMüller, die Charakterdarstellerin vom Staatstheater in Berlin; Ehrlich hat sie im Jänner 1924
und dann in den Sommermonaten oft und oft gezeichnet. In diesem Gesicht haben viele Rassen
sich vermischt und jede hat darin eine starke Spur zurückgelassen. Es riecht nach Erde, nach russischer
Erde, nach malaiischer, auch nach französischer Erde; aber immer nach Erde. Nach dem Tier, das rein-
rassiger, ursprungsnäher ist als der Mensch, nach derWildnis. Da gibt es Bildnisse, die hinterhältig und
gefährlich wie böse Mongolen wirken und verbittert, vergrämt wie enttäuschte Indianer; die Augen
glimmen wie Tigeraugen zwischen Lianensträngen oder schauen schwer wie stumpfe Ergebung hinter
Eisenstangen. Die Zeichnung der liegenden Gerda Müller1 ist ganz anders. Da ist über alle ererbten
und erworbenen Gelüste, über den Schmerz und die Größe das Tuch der Ruhe gezogen. Der
Körper liegt eingesunken und der Blick ist friedlich, da ihm das Ziel genommen worden. Die starken
Backenknochen sind gemildert, die eckige Form besänftigt, das Haar schlicht. Eine einfache Frau,
die nur um den Mund noch Leid zeigt, aber auch dieses ist still.
Die fremde Rasse hat für unser ungeschärftes Auge die reinere Form; Ehrlich zeichnet und malt,
zeichnet immer wieder eine Chinesin,Halbblut zwischen China und Frankreich, wieder eine Filmschau-
spielerin, exotische Diva in Berlin. In den Bildern hat sie das Pathos der Rolle, die das Leben und der
Beruf ihr aufzwingt. In den Zeichnungen ist sie wieder nur der unverhüllte Mensch, der diese Rolle
spielen muß oder will — das läßt sich nicht so klar auseinanderhalten. Die kleine Bleistiftzeichnung ist
imFrühjahr 1925 entstanden; es ist das späteste der ausgewähltenFrauenbildnisse. Es ist ein flüchtiges
Motiv festgehalten, der Kopf, wie er auf den verschränkten Armen liegt. Das Motiv ist flüchtig, aber
die Form ist klar, sie ist edel wie eine Skulptur. Eine Marmormaske mit einem leisen Schweben von
Licht und Schatten, von Atem und Leben über dem weißen Stein. Andacht ist in dieser Zeichnung.
Andacht und Distanz. Distanz ist geschwunden in der Bildniszeichnung2 Niddy Impekoven.
Hier fließt des Künstlers behutsame Zärtlichkeit um das liebliche Kindergesicht, um die ganz
schmalen Schultern. Niddy Impekoven ist vielleicht schon zwanzig Jahre alt, sie ist sogar eine ver-
heiratete Frau, aber um ihre Erscheinung liegt noch der Zauber des Unberührten, des Taufrischen,
eben des Kindes — das Gerhart Hauptmann bei seinem ersten Schritt in die Öffentlichkeit begrüßt
hatte. Wenn Niddy Impekoven tanzt, so ist es Schelmerei und Schwermut, immer aber ist es der
Körper, der von den Fingerspitzen bis in die Fußspitzen den Ausdruck bringt. Das Gesicht bleibt
erstaunt dabei, verlegene Frage. Ehrlich zeichnet eine Lithographie '■'• von dem tanzenden Wunderkind.
1 Braune und schwarze Ölkreide; Br. 655 mm, H. 490 mm. — - Br. 490 mm, H. 665 mm. — 3 Br. 500 mm, H. 680 mm.
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