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In Meders »Handzeichnung«, in der doch die Erfahrung eines Lebens aufgesammelt ist, steht
nichts, das auch nur ein verwandtes Verfahren der Vergangenheit andeuten würde; in den Hand-
büchern der vervielfältigenden Künste läßt sich nichts Ähnliches finden. Daß man aber in Ver-
suchung kommt, sich hier und dort, bei den vervielfältigenden Künsten und bei der Originalzeich-
nung zu orientieren, beweist die merkwürdige Zwischenstellung des Verfahrens, das Technik
und Wirkung aus beiden Erscheinungsformen verbindet. Die Herstellung ist dieselbe wie bei der
Zeichnung — wenn man nur die Handbewegung berücksichtigt, nur das Umsetzen der Vorstellung
in die Linie, in das ornamentale Gleichgewicht von weiß und schwarz — denn von »Zeichen«
ist bei diesem Zeichnen kaum etwas zu sehen; gelegentlich vielleicht ein matter Strich, meist nur
Blindlinien, Kratzer, Ritze, nichts, das sich zum Bilde zusammenschließen möchte; das Papier bleibt,
wohl zermartert, aber ohne Ausdruck. Die Wirkung aber ist die des Druckes, die Schwärze und die
Unveränderlichkeit des Materials, das Verhältnis zur Papierebene; ja durch die Kante des Glases
kommt auch die vornehme Isolierung des graphischen Plattenrandes hinzu und auch, daß die end-
gültige Erscheinung dann gegenseitig ist, schließt sie an den Druck.

Aber das entstandene Werk ist einmalig und es beansprucht durch diesen nur den unreproduk-
tiven Originalen gehörigen ethischen Faktor eine prinzipiell andere Einschätzung als das graphi-
sche Blatt und — was noch wesentlicher ist — eine andere Gestaltung. Das reproduktive graphische
Blatt wendet sich an einen größeren Kreis, an den größten Kreis; es ist der Versammlungsredner,
der auf die Masse Rücksicht nehmen muß, der mit lauter Stimme und ungemein verständlich reden
muß, wenn er belehren, erklären oder bekehren will. In der Zeichnung ist es dagegen die intime
Aussprache, der fein abgestufte Tonfall, den die Eingeweihten in allen Schattierungen mitschwingen,
es ist das Wort von dir zu mir, es ist das Selbstgespräch. Es ist die ganze Spanne der intimen Werte,
die durchlaufen wird, eine enge, aber wunderbar reiche Spanne.

Bei dem neuen graphischen Verfahren, das ich beschreibe, ist dieses unmittelbare Ausströmen
der Persönlichkeit überdies noch durch die Technik erzwungen und dieser Zwang der Technik ist
so einzigartig, daß unvergleichlich stärker als sogar bei der unmittelbarsten Zeichnung hier der
Persönlichkeitsausdruck unberührt, ungebrochen beisammen bleibt. Denn während in der Zeichnung,
die Strich neben Strich setzt, außer der Erfindung, die zur Gestaltung drängt, auch jeder Strich
durch sich selbst, wie er einmal hingesetzt wird, sofort seine schaffende Kraft auf den Künstler
zurück ausübt, wie das Papier dann noch in seinen Fasern und Adern, in seiner ganzen lebendigen
Haut mit anregt, mit anreizt, mit schafft und so in immer neuer Wechselwirkung aus dem Gewollten
und dem schon Gewordenen die Zeichnung erwächst — kennt das neue Verfahren' nicht diese
sinnliche Spiegelwirkung des eigenen Werks zurück auf den Künstler. Er sieht seine Arbeit nicht,
bevor sie fertig wird: aus der Vorstellung allein muß er gestalten.

So ist es der stärkste Persönlichkeitsausdruck — und dieser stärkste Persönlichkeitsausdruck
wird in das Gemeingut der Druckerschwärze eingeleitet! Ist das statthaft? Widersetzt es sich nicht
dem, was wir von dem Zwang gelernt haben, den die Erscheinungsform zurück auf die Vorstellung
ausübt? Läuft es nicht gegen alle Gesetze, die wir über die Forderung der Materialechtheit auf-
gestellt haben? Gewiß; aber schließlich waren wir es doch nur, die diese Gesetze aufgestellt haben,
Gesetze, die schon das vorausgehende Jahrhundert nicht gekannt hatte; unsere Zeit war es nur —
oder besser noch: die eben vergangene Generation. Stilgesetze aber sind überhaupt nur historisch
gebundene Formulierungen, die sich als Forderungen aufspielen, während sie doch eigentlich nur
ein Fazit ziehen. Ein Fazit, das meistens schon durch neue Tatsachen überholt ist, wenn es über-
haupt erst zur Formulierung einer Forderung kommen kann. E. Tietze-Conrat.

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