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OTTO LENDECKE.

In jener schweren Zeit, da die Welt vom Kriegsgetöse widerhallte und Millionen Soldaten in
feuchten Erdlöchern kauernd Tag für Tag dem Tod ins Antlitz schauten, während daheim die Frauen
und Kinder mit den bittersten Nahrungssorgen kämpften, saß hoch oben in einem Wiener Vorstadt-
atelier ein junger österreichischer Maler und zauberte in entzückend feinen, hellfarbigen Aquarellen
all die Dinge aufs Papier, nach denen sich ungezählte Menschen schon seit Monden schier hoffnungs-
los sehnten: die heiteren Freuden der Geselligkeit und des Sportes, den behaglichen Komfort des
Landlebens und des Reisens, die verschwiegenen Idyllen der Liebe und den raffinierten Luxus
eleganter Frauen. Allmonatlich gingen diese charmanten Blätter an deutsche Verleger ab, wurden
in Münchener oder Berliner Zeitschriften reproduziert und fanden dann ihren Weg bis in die ent-
legensten Frontwinkel, überallhin einen Schimmer jenes Friedens, jenes Glückes und jener sonnigen
Schönheit tragend, die man in diesem schrecklichsten aller Kriege für längst untergegangen wähnte.
Es war immer ein Festtag, wenn draußen im Schützengraben wieder ein Heft mit einem farbigen
Bild von Otto Lendecke — so hieß der junge Künstler — eintraf, und zu Dutzenden liefen bei
den Redaktionen des »Simplizissimus«, des »Wieland« und der »Dame« die Feldpostkarten ein,
in denen Offiziere und Soldaten für den reizenden jüngsten »Lendecke« dankten, der ihnen wenigstens
für eine kurze Spanne Zeit ihr freudloses Dasein verklärt hatte. Allein noch war der letzte Akt des
furchtbaren Menschheitsdramas nicht völlig beendet, als der Schönheitsquell, der so vielen in trüben
Stunden Erquickung geboten, mit einem Male jäh versiegte. Im Herbste 1918 erlag Otto Lendecke,
kaum zweiunddreißigjährig, der damals in Wien grassierenden Grippe-Epidemie. Sein treuester
Weggenosse, der Münchener »Simplizissimus«, ehrte einige Jahre später sein Andenken durch
Herausgabe eines Albums, das unter dem Titel »An die Schönheit«1 dreißig der beliebtesten
Lendecke-Blätter in farbigen Nachbildungen vereinigte und in einer kurzen Einleitung auch vom
Lebensgange des Künstlers berichtete. Zu einer ausführlicheren Würdigung seines Schaffens aber
kam es bisher noch nicht, obwohl doch Lendecke unstreitig zu den originellsten Begabungen der
modernen österreichischen Kunst zählt und die Beschäftigung mit seinem Oeuvre eine besonders
anziehende ist. Da sich nun heuer sein Todestag bereits zum zehnten Male jährt, möchte ich diesen
Anlaß nicht vorübergehen lassen, ohne dem Frühvollendeten ein Erinnerungsblatt aufs Grab zu legen,
das auf Grund der mir von Freunden und Verwandten des Malers zuteilgewordenen Mitteilungen
sein Erdenwallen schildern und das Bild seiner künstlerischen Persönlichkeit zeichnen soll. Für
die Beurteilung seiner Arbeitsweise kam mir der Einblick in einen beträchtlichen Teil seiner nach-
gelassenen Skizzen sehr wesentlich zustatten.2'

1 München, Verlag von Albert Langen (1924).

- Besonders wertwolle .Mitteilungen über Lendecke verdanke ich der Witwe des Künstlers Frau Dr. Katharina Csepaiin Budapest, den
Damen Ella Groß und Ella Lubich sowie Herrn Oberingenieur Wilhelm Lendecke in Graz, Herrn und Frau Hofrat Dr. Hermann Sehedy
in Wien, nicht minder Herrn Oberbaurat Prof. Dr. Jo se f Hoffmann, der mir das vom Oberbaurat Otto Lendecke 1899 angelegte »Stamm-Register
der Familie Lendecke« nebst den vom Vater Lendecke verfaßten Manuskripten »Lebenslauf des Malers Otto Lendecke vom 4. Mai 1880 bis Ende
Dezember 1909«, »Die Mutter des Malers Otto Lendecke« (niedergeschrieben in Krems am 26. Juni 1919) und »Anekdoten, den Maler Otto
Lendecke in seiner Kindheit betreffend« zur Einsicht überließ. Die »Wiener Werkstätte« stellte in bereitwilligster Weise die Originale der
beiden ».Modephantasien« (S. 95), Frl. Louise Zels das Aquarell »Vorsommertag« (S. 91) zur Reproduktion zur Verfügung.

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