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MODERNE RUSSISCHE GRAPHIK.

Wer über ein Thema der russischen
Kunst handeln will, muß weit ausholen.
Denn die Voraussetzungen sind grund-
sätzlich anders als im Westen. Von einer
stetigen Entwicklung, wie sie im übrigen
Europa mindestens seit dem Mittelalter
stattgefunden hat, ist nicht die Rede. Schon
die geographische Situation des Reiches,
das seine Grenzen weit bis nach Asien
vorgeschoben hat, ist ein Sonderfall. Die
Wellen, die vom Osten kamen, haben seit
jeher ihre kulturellen Spuren auf dem Bo-
den Rußlands hinterlassen. Im Vergleich
zu den Gegensätzen, die in der russischen
Geistesgeschichte aufeinanderprallen, er-
scheinen die Konflikte der westeuropäischen
Völker untereinander fast' wie Familien-
streit. Raffael und Dürer verstanden sich
mühelos. Aber wie unnahbar fern steht dem
Mönch Andrei Rublow, dem Großmeister
der Ikonenmalerei aus dem Anfang des
XV. Jahrhunderts, ein Jan van Eyck? Und
diese Ikonenmalerei blieb die Kunst der
Kirche bis fast in unsere Tage, blieb der
selbstverständliche künstlerische Ausdruck
des Tiefsten, was die russische Seele er-
füllte. Sie blieb in sich geschlossen und
erstarrte zwar, aber sie wurde kaum von mo-
dernistischen Tendenzen an der Oberfläche
angekränkelt, als es längst schon eine Malerei im westeuropäischen Sinne in Rußland gab. Denn der
Naturalismus des Westens war dem stilistisch gebundenen Kunstschaffen der byzantinischen Malerei
wesensfremd. Er kam aus anderen Quellen und suchte andere Ziele. Die Russen unterscheiden von
jeher zwischen Ikonopis (Ikonenmalerei) und Jiwopis (Malerei nach dem Leben), und sie wissen
sehr wohl, daß die erste längst bodenständig geworden, die zweite spätes Lehngut ist. Rußland
gehört zum ostchristlichen Kunstkreis, seit es ein staatliches Eigenleben führt, also seit rund einem

W. Faworskij, Dostojewskij.

Holzschnitt. 1929.

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