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Herbert Böckl, Stilleben mit Schlangen und Schildkröten. Kreide. 484 : 605. Wien, Privatbesitz.

mehr, sondern eine erhebende Landschaft in reinem Licht, mögen ihr auch Tod und Grauen nicht
fremd sein — dem Verstehenden eine Heimat.

Von Böckls Bildern sollte man nur in ihrer Gegenwart sprechen. Mit dem Zauber ihrer Farbe
steht und fällt das Geheimnis ihrer Form. Im Schwarz-Weiß der Zeichnung liegt die Struktur seiner
Schöpfungen offener zutage, ist lapidarer, hat sich in jüngster Zeit zu einer ungeahnten Reinheit
und Klarheit durchgearbeitet, die die ganze Künstlergestalt mit Worten faßlicher, wenn auch nie
erschöpfbar macht. Deshalb sei hier von einigen dieser Zeichnungen die Rede.

Ein Werk, das über ein Jahrzehnt zurückliegt, stehe am Eingang: das Stilleben mit dem toten
Huhn aus dem Jahre 1921. Ehe Böckl eine neue Vorstellungswelt aufbauen konnte, mußte er die
alte auflösen. Das besorgte er in den zu Beginn der zwanziger Jahre entstandenen Werken. Der
menschliche Körper, die Gegenstände, die Landschaft zerfallen in ein Flimmern von Farben, in ein
Vibrieren von Flecken in Schwarz und Weiß. Es gibt nicht mehr Luftraum, nicht mehr Form, sondern
nur ein schwingendes Fluidum, aus dem mächtig die Ahnung werdender neuer Struktur spricht.
In den Bildern des Jahres 1922 beginnt diese Struktur sich langsam zu kristallisieren, in den
Zeichnungen von 1921 ist sie im Ausschnitt, im Fragment schon mit instinktsicherem Griff gepackt.
Ein Stück organischen Lebens wird in seiner Totalität erfaßt. Ein nacktes totes Huhn liegt neben
dem Leib einer Flasche und zwei Früchten auf einer in steilem Aufblick gesehenen Tischplatte. Die
Umgebung verklingt als gläsern durchsichtige Schemen. Alle dunkle Kraft des Lebens konzentriert
sich in dem toten Tierleib. Locker, gelöst ist der Umriß, das mürbe Fleisch schimmert im Helldunkel
der Flecken, zu saugender Tiefe verdichtet die Kohle die Halspartie, als ob dort alles fliehende
Leben zu neuem Kraftquell zusammenflösse; vom Kopf ist nur mehr ein geisterhaftes Skelett
mit einem dunklen Auge übriggeblieben. Schon in diesem frühen Blatt offenbart sich Böckls meister-
hafte Sicherheit im Erfassen des Wesentlichen einer Form, eines Organismus. Aus dem Suchenden,

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