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Erscheinung ist einer zeichnerischen Ver-
einfachung gewichen, die nur mit linearen
Mitteln die Dinge knapp und abkürzend um-
schreibt. Ein klarer, fast kantiger Umriß und
einfache Strichlagen sind das Signum dieses
Stils. Eine vierte und bisher letzte Phase
scheint, zeitweise neben der vorigen, um
1920 einzusetzen. Sie bedeutet aufs neue
Beruhigung und Schlichtheit. Die Bildfü-
gung wird jetzt ganz klar und konzentriert,
alles Gegenständliche mit unerbittlicher
Sachlichkeit hingeschrieben, die Raumfü-
gung ist scharf und gespannt. Beckmanns
reifste graphische Blätter gehören dieser
Phase an: die großen Bildnislithographien,
Radierungen, wie die Frau in der Nacht, die
Fastnacht, die Umarmung, die große Brücke
und andere Frankfurter Stadtbilder, endlich
eine Reihe ausdrucksstarker Holzschnitte,
Menschenbilder von unabänderlich großer
Prägung. In den letzten Jahren, seit 1925,
hat Beckmann die Druckgraphik fast ganz
aufgegeben und sich nur der Malerei ge-
widmet. Diese ist nicht mehr kritisch, son-
dern jetzt bejahend dem Leben zugewandt.
Man könnte daraus schließen, die Graphik sei ihm nur das Mittel einer freilich notwendigen und
grundlegenden Auseinandersetzung mit der Welt und mit den Formen der Darstellung gewesen.

Die künstlerische Arbeit, die stets auf das Klare, scharf Bestimmte und Wirksame zielt, wird
aus dem Vergleich der Probedrucke, die freilich selten erhalten sind, mit der fertigen Fassung
besonders deutlich. Wir greifen einzelne Beispiele heraus.

Den Übergang von der ersten zur zweiten Stilphase vertritt die herrliche Radierung der großen
Operation (1914—1915). Das brutale und furchtbare Geschehen eines chirurgischen Operations-
saales ist hier mit scharfer Wahrhaftigkeit, aber auch mit Zartgefühl und sachlicher Größe zu einer
erstaunlichen Symphonie in strahlendem Weiß gestaltet. Auf einem köstlichen Probedruck vor
Beendigung der Platte ist dies Weiß besonders herrschend, sind die Figuren und alles Nebenwerk
nur mit den feinsten versuchenden Strichen der kalten Nadel hingekritzelt, nur mit wenigen, höchst
fühlsam verteilten, scharf geätzten Rissen und Flecken lebendigste Akzente von Schwarz beweglich
und bewegend in dieses Weiß verteilt. Das fertige Blatt zeigt alles eindeutig bestimmter, den
Operationstisch, die Kannen und Becken, den Wasserhahn, die Lichtbirnen; aber auch die Figuren
sind schärfer umrissen, der kompositionelle Abschluß nach allen Rändern wissend gesucht. Die
Impression ist in der Richtung auf das Sachliche und Deutliche umgebildet.

Beckmann hat in diesen Jahren öfters das Beieinander von Menschen im Ausschnitt eines
dichten Gedränges der verschiedensten Köpfe gegeben. Sei es, daß eine gemeinsame Erregung in
den verschiedensten Charakteren sich ausdrückt, sei es, daß aus einem gleichgültigen Anlaß das

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