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mannigfachste Erleben sich kon-
trastiert, immer ist etwas Ma-
nisches und Besessenes in diesen
Blättern. Bei der Radierung Straße
Nr. 2 (1916) kann man einen
Probedruck des zweiten Zustands
mit der endgültigen Fassung ver-
gleichen. Die Sinnlosigkeit eines
gleichgültigen Geschehens, dies
Aneinandervorüberdrängen der
Menschen auf einer belebten
Straße ist in dieser viel deutlicher
unterstrichen. Rein graphisch ist
das Blatt wesentlich kontrast-
reicher und lebensvoller gewor-
den. Das Chaotische der Fügung
gibt ihm einen aufregenden Reiz.
Mit heftiger Ungebärdigkeit geht
jeder Mensch seinen besonderen
Weg. Rätselhaft, aber unentrinn-
bar steht jedem Wesen und
Schicksal in Gesicht und Gebärde
geschrieben.

Zwei radierte Selbstbild-
nisse, eines von 1917, das andere
von 1921, sind Zeugnisse der
großen Wandlung, die sich in der
Anschauung vom Alenschen, in
der Komposition des Bildes wie
in den graphischen Mitteln in
diesen Jahren vollzog. Das Brustbild von 1917 mit der vorgestreckten, zur Faust sich schließenden
Hand, mit der anderen, die den zeichnenden Griffel hebt, gibt im gedrängten Ausschnitt heroisch
den Künstler als Kämpfer und Überwinder. Aus mächtigen Schultern hebt sich stolz das Haupt
voll durchlebter, geprägter Form, mit den kantigen Buckeln der Stirn, dem willensstarken, ver-
achtenden Mund, den geblähten Nüstern, mit dem schwarzen; tragischen Blick aus den riesigen
Höhlen der Augen. Das Selbstbildnis mit dem schwarzen Hut (1921) ist in jeder Hinsicht der
stärkste Gegensatz. Es wirkt auf den ersten Blick nicht heroisch, sondern ganz bürgerlich, fast
banal: Brustbild eines beliebigen glattrasierten Menschen im schwarzen Anzug, die schwarze
Melone auf dem Kopf, die Zigarette zwischen den Fingern. Die ärmliche Petroleumlampe vorn, die
hockende Katze hinten unterstreichen das Zufällig-Alltägliche. An die Stelle eines plastisch
verstandenen, sehr wirkungsvollen Formenaufbaues ist der einfachste frontale Anblick, ein Leben
in breiten Flächen und Flecken von Hell und Dunkel getreten. Der Torso spielt keine Rolle, ist fast
unterdrückt, Stirn und Schädel verdeckt, das Kinn eigenwillig, aber klein, der Mund groß, schmal
mit tiefen Winkeln, doch ungewisser Regung, die geblähten Nüstern der aufgeworfenen Nase wirken

Max Heckmann, Prof. Georg Swarzenski. 1923.

Radierung.

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