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Bögen und Schienen schräg durch das Bild. Er reißt das jenseitige
Ufer mit der harten Plastik seiner Baukastenhäuser und der Kirche
wie nach vorn zu uns herüber. Vom Kai unten stößt ein Kran
wie eine abgefeuerte Kanone in die Höhe, und in gegensätzlicher
Richtung sendet das Rohr des kleinen Dampfers eine Rauchwolke
von sich. Spannung entgegengesetzter Schrägen und enge Ver-
klammerung eines kleinteiligen Gefüges plastischer Bildglieder
machen Nähe und Ferne gleich nah und gleich kräftig. Der Raum
ist aufgehoben in einer merkwürdigen Dynamik der Bildwirksam-
keit. Wie auf den Bildern der Innenräume ist die alte, Tiefe
schaffende Perspektive gewissermaßen umgekehrt, indem das Ent-
fernte nach vorne wirkt. An Stelle der breiten, schweifenden Kurven
aber ist durchaus der scharfe, metallene Strich, die Gerade betont.

Auch die Holzschnitte stammen aus dieser letzten Phase von
Beckmanns graphischer Arbeit. Das harte Holz, das die Kante
betont und die tiefen markigen Schwärzen hergibt, kam ihm jetzt
Max Beckmann, Frau Prof. Swarzenski. erst bequem und seiner Absicht gelegen. Da der Vorgang des

Herausgrabens und Schneidens nur ein Wegnehmen, nie ein Hinzu-
fügen erlaubt, so haben die vorbereitenden Zustandsdrucke naturgemäß einen anderen Charakter
als bei der Radierung. Sie sind reicher an Schwarz, wirken kräftiger, aber auch chaotischer als die
Drucke der fertigen Blätter. Was der Künstler wegnimmt, ist auch hier charakteristisch. Die Frau
mit der Kerze (1920) ist einer der ersten Holzschnitte. Im engsten Geschiebe ist Mensch und Raum,
Mensch und Gegenstand zueinandergepreßt. Im Probedruck wirkt dies noch beinahe qualvoll, auf
dem endgültigen Blatt aber mit hoher und wirksamster Klarheit. Die schrägen Achsen, die leise
Bewegung, die große Wendung der Augen schließen sich zu einem unvergeßlichen Ausdruck.

Der Prozeß der Vereinfachung zeigt sich wieder in drei Phasen bei dem Profilkopf der Frau
Professor Swarzenski (1925). Der erste Druck noch sehr schwarz, mit schweren Schatten und dicker
Umrandung. Diese fällt in der zweiten Fassung, die Schatten der Wange, die Schwärze des Haares
sind aufgelichtet. In der dritten sind noch einmal die Strichlagen reduziert, das Haar über der Stirn
wieder dunkel zusammengefaßt. Nun spricht dieser scharfe Vogelkopf über der Kante des Fächers,
dieser schräg zur Seite zielende Blick, hell auf hellem Grund, mit einer unvergeßlichen Bestimmtheit.
So hat Beckmann jetzt auch sich selber im Holzschnitt dargestellt, breit und wuchtig, wie aus schweren
Gittern des Strichgefüges geformt, auf mächtigen Schultern der mächtige Schädel, der bitter gepreßte
Mund, der schwarze, scharfe Blick aus den zusammengekniffenen Lidern. Stärkste Kraft und stärkste
Entschiedenheit. Wie jedes Blatt in der Arbeit reifer und klarer sich formt, so ist die Entwicklung
seines ganzen Stils zu immer höherer Sicherheit vorgeschritten. So hat in seiner Graphik ein festes
Bild gespannter Welt sich gegründet.

Lebensdaten: Max Beckmann ist 1884 in Leipzig von norddeutschen Eltern geboren. Er studierte von 1900
bis 1903 an der Weimarer Akademie, bildete sich während der nächsten Jahre in Paris, Berlin und Florenz fort und
lebte dann von 1906 bis 1914 in Hermsdorf bei Berlin. Während des Krieges war er mit Unterbrechungen als Sanitäts-
soldat beschäftigt. Seit 1917 hat er seinen Wohnsitz dauernd in Frankfurt am Main, wo er seit einer Reihe von Jahren
eine Professur an der Kunstschule innehat. Seit 1929 arbeitet er zeitweise in Paris. Die meisten deutschen Galerien,
der französische Staat und einzelne amerikanische Museen besitzen Bilder von ihm. Otto Fischer.

NB. Die Abbildungen erfolgten mit Genehmigung von J. B. Neumann in New York und Günther Franke in München.
 
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