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structure profonde« aufdeckt, hat er in
ebenso geistreicher wie prägnanter Weise
die komplizierte Kunst Mariette Lydis' auf
eine verhältnismäßig einfache Formel ge-
bracht. Dennoch gibt die in erstaunlichem
Tempo fortschreitende Entwicklung dieser
eigenartigen Künstlerin auch künftigen
Biographen noch genügend Gelegenheit,
ihren Scharfsinn an der Analyse Lydis'scher
Bilder zu erproben.

Mariette Lydis entstammt der Wiener
Familie Ronsperger und hat, von einem vor-
übergehenden Besuche der Schule Emmy
Zweybrück abgesehen, niemals eigentlichen
Kunstunterricht genossen. Schon vor dem
Kriege war sie viel gereist, nach dem Kriege
lebte sie als Gattin eines Griechen, dem sie
den klangvollen Namen Lydis verdankt,
ständig im Ausland. 1926 ließ sie sich in
Paris nieder, wo sie in G. Govone den Ver-
leger fand, dessen sie zur Begründung
ihrer internationalen künstlerischenPosrtion
bedurfte. Ihre ersten Illustrationsversuche,
zwanzig Bilder zu BelaBalazs'chinesischen
Novellen »DerMantel derTräume«,1 standen
im Zeichen der ostasiatischen Kunst, ihre

folgenden Arbeiten, wie die »42 Miniaturen Hariette LydiSj >Les trois D.esses. aus .0videi L>Art d.aimer.. Farbige Lith0.
zum Koran«,2 die »Miniaturen, in Liebes- graphie.

billette gesetzt von Erik Ernst Schwabach«,3 das »Orientalische Traumbuch«4 und A. Ades und A. Josi-
povicis »Livre de Gohale Simple«5 verrieten ein eingehendes Studium persischer und indischer Buch-
malereien. Dann aber ging Mariette Lydis von der farbigen Zeichnung, die bisher die Grundlage ihrer
Illustrationen gebildet hatte, zur Originalgraphik, zur Radierung und Lithographie, über, wodurch ihre
Werke mit einem Male einen ganz andern künstlerischen und materiellen Wert erhielten. Wie und
wann sie sich die Kenntnis dieser graphischen Techniken angeeignet hat, wissen wir nicht, doch
stand schon die erste Mappe mit 25 farbigen Radierungen, die sie 1926 unter dem Titel »Lesbiennes«
im Eigenverlage herausgab, technisch durchaus auf der Höhe und trug eine entschieden persönliche
Note. 1927 steuerte sie zu Henry de Montherlants »Lettres sur le Serviteur chatie« fünf Zeich-
nungen bei und veröffentlichte im Selbstverlage eine von Pierre Mac Orlan mit einem Vorwort
versehene Serie von 24 Radierungen »Criminelles«, ein weibliches Verbrecheralbum, das in die
tiefsten Abgründe der Frauenseele hineinleuchtet. Der kalte graue Ton dieser Blätter mit ihren auf
das Notwendigste beschränkten Umrißlinien paßt sich vortrefflich der grausamen Nüchternheit der
Legenden an, die in dürren Worten von den Untaten der Porträtierten berichten. In 10 leicht getönten

1 München, D. und R. Bischoff, 1922. — 2 Berlin, Brandus'sche Verlagsbuchhandlung, 1924. — 3 Potsdam, Müller und Co., 1924. — ' Pots-
dam, Müller und Co., 1925. — & Paris, La Connaissance, Preface par Octave Mirbeau, 1926.

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