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an einem Zuwachs von inneren
Spannungen und naturalistischen
Elementen nachweisen.Der»Stil«
bleibt entweder noch dasRokoko
wie bei dem Plastiker F. X. Messer-
schmidt, oder er ist schon der
Klassizismus wie bei dem Maler
Johann Heinrich Füßli. Man
müßte bis nach Spanien gehen,
um einen Künstler zu finden,
der dem Faust-Dichter kongenial
war: Goya. Aber der stand außer-
halb des deutschen Gesichts-
kreises.

Die Kunstübung der Sturm-
undDrangzeit inGoethes näherer
Umgebung erhielt ein gut Teil
ihres Gepräges durch Lavaters
physiognomische Studien. Lava-
ter bildete den Mittelpunkt einer
ausgebreiteten graphischen Pro-
duktion. Allerdings teilte sich
sein genialischer Enthusiasmus
den für ihn arbeitenden Künstlern
keineswegsmit.ImGegenteil: als
Auftraggeber hielt er streng auf
Sachlichkeit. Die Silhouette als
zuverlässigstes Mittel zur Fest-
stellung physiognomischer Tatbestände fand hingebungsvolle Pflege. Lavater ließ ein eigenes Sitz-
möbel bauen, das dem Schattenrißzeichner die Arbeit erleichtern sollte. Der Schweizer Kupferstecher
Schellenberg, der zu Lavaters engstem Mitarbeiterstab gehörte, hat einen solchen Silhouettierstuhl
gezeichnet (Abb. 2). Seine Zeichnung findet sich neben vielen anderen Zeugnissen dieses merk-
würdigen Kreises in der Lavater-Sammlung, die in Wien aufbewahrt wird. Wir sehen da einen der
»physiognomischen Zeichner«, Heinrich Pfenninger, bei der Arbeit (Abb. 3); wir sehen Lavater selbst
in allen möglichen Lebenslagen: schlafend, von seinem Landsmann Dinkel in Guasch gemalt (Abb. 4),
oder seiner Frau vorlesend, in einer zarten Tuschzeichnung von Chodowiecki (Abb. 5). Chodowiecki
war der einzige Graphiker der Zopfzeit, der dem Sturm und Drang wenigstens durch seinen gefühl-
vollen Realismus entgegenkam.

Auch in der Folgezeit hat sich die Tradition des gefühlsbetonten Realismus nicht ganz verloren.
Sie wird gerade in der Graphik durch Künstler wie Johann Christian Klengel (1751 —1824), Karl
Wilhelm Kolbe (1757 — 1835), Johann Christian Reinhart (1761 — 1847) und Johann Christoph Erhard
(1795—1822) vertreten. Bevorzugt wird die Landschaft. Die Formensprache bleibt vorwiegend linear.

Inzwischen war Goethe im Jahre 1775 nach Weimar berufen worden. Mit seinem Eintritt in die
höchsten Staatsämter gewannen neue Lebenswerte für ihn die Oberhand. Damit verloren seine

Abb. 4. Markus Dinkel, Lavater schlafend, Aquarell. Wien, Lavater-Sammlung der
Nationalbibliothck.

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