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Verwandte Geisteshaltung
hatte längst im iranischen Kul-
turkreis auf asiatischem Boden
die Urform des sinnbildlich ver-
zierten Buches hervorgebracht,
bei der die Schrift von bedeu-
tungsvollen Landschaftsmotiven
eingehegt ist. Das geschah viel-
leicht schon in frühgeschichtli-
cher Zeit. Im europäischen Mittel-
alter hat diese »magische« Buch-
kunst eine neue Blüte erlebt. Die
phantastischen Randminiaturen
Dürers sind ihr spätester Schöß-
ling. Goethes in den Urtiefen der
Kultur verwurzelte Persönlich-
keit gab den Mittler zwischen der
vergessenen, »west-östlichen«
Tradition und der Kunst der
jungen Deutschen ab. Titel und
Widmungsblatt des Faust-Zyklus
(Abb. 14), die Cornelius erst in
Italien nachGoethes Intervention
hinzugefügt hat, zeigen bereits
ein neues Gestaltungsprinzip:
das freie Spiel der Ornamentik
überwuchert die bildmäßige Dar-
stellung, die sich mehr und

mehr in Allegorien auflöst. Der nachgelassene Entwurf Pforrs zu seinen Götz-Illustrationen,
der kurz vor seinem 1812 erfolgten Tode ebenfalls in Italien entstanden ist, folgt dem gleichen
Kompositionsschema. Die Saat ging rasch auf. Im Jahre 1828 sandte Cornelius, damals schon Rektor
der Münchener Akademie, an Goethe Illustrationen zu dessen Gedichten von der Hand seines Schülers
Neureuther. Es waren durchwegs Randzeichnungen (Abb. 15). Wie auf persischen Miniaturen ist
der Text in ein Rankenwerk eingebettet, das seinerseits wieder kleine Szenen einschließt. Alles hat
sinnbildlichen Bezug auf das Dichtwerk: Blumen, Figuren und Architekturen. Selten ist ein Vorgang
selbständig als Bild gefaßt. Immer bleibt das einzelne untrennbar verwoben in das Naturleben der
Ranken, die den Rahmen bilden. Goethe fühlte sich zutiefst verstanden. Das freie Spiel der nach-
schaffenden Phantasie Neureuthers erschien ihm wie eine musikalische Begleitung zu seinen Worten.

Ungefähr zur selben Zeit wie diese Münchener Sendung erhielt der Dichter eine zweite. Sie
kam von jenseits des Rheins. Eugene Delacroix schickte seine Lithographien zu Faust (Abb. 16).
Das war nun etwas ganz Anderes, Gewaltigeres — aus romanischem Blut geschöpft, fremdartig
und doch urverwandt als Werk eines brüderlichen. Genius. Der Franzose gab die Gestalt, wo der
Deutsche das Sinnbild suchte. Goethe war von Delacroix hingerissen. Für ihn lag in dem Echo,
das sein Wirken unter den westlichen Nachbarn fand, die Gewähr für den Anbruch eines wahrhaft
europäischen Zeitalters. ^ Wolfgang Born.

Abb. 16. Eugene Delacroix, Auerbachs Keller. Lithographie, 1828. Wien, Albertina.
 
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