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Goldschmidt, Adolph; Weitzmann, Kurt; Goldschmidt, Adolph [Editor]; Weitzmann, Kurt [Editor]
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X. - XIII. Jahrhunderts (Band 2): Reliefs — Berlin: Bruno Cassirer, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.53147#0024
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i8

GOLDSCHMIDT

T ripty chon-Gruppe
(Tafel XLVII-LXIV)
DIE Triptychon-Gruppe ist eine volkstümliche Ableitung von der
Romanos-Gruppe. Das Vorbild dieser vornehmen Schöpfungen
zog das Bedürfnis nach Ähnlichem, nicht zum wenigsten wegen
ihres streng kirchlichen orthodoxen Charakters, in den bürgerlichen
Kreisen nach sich. Es entstanden zahlreiche Werkstätten, die mit
weniger bedeutenden Schnitzern und zu geringeren Kosten die
Kauflust größerer Kreise befriedigten. Daher die verhältnismäßig
große Anzahl von erhaltenen Stücken und die teilweise sehr niedrige
Qualität. Auch das Stoffgebiet war dasselbe wie in der Romanos-
Gruppe, nur scheint sich die Form fast völlig auf Triptychen zu
beschränken. Die Dimensionen waren stets kleiner als bei den
Prachtwerken der Romanos-Gruppe, die Zahl der Heiligen geringer
und ihre Auswahl stereotyp.
Mit dem Herabsteigen zu einem weniger aristokratischen Benutzer-
kreis änderte sich aber auch der Stil nicht unwesentlich. Und zwar
entsprach diese Änderung dem volkstümlichen Geschmack: Aus
dem sorgfältig abgewogenen Flachrelief wurde eine stärker hervor-
tretende Plastik, aus der vornehmen Zurückhaltung der Figuren
ein stärkerer Gefühlsausdruck der Beteiligten, aus der strengen
Gesichtsbildung eine weichere Anmut. Diese Eigenschaften treten
klar in den qualitativ besten Stücken hervor, während sie bei den
ganz handwerksmäßigen minderwertigen nicht so stark in die Au-
gen fallen.
Zu den besten Exemplaren gehört das Liverpooler Triptychon
Nr. 155. Man vergleiche es etwa mit Nr. 38 und 3p der Romanos-
Gruppe. Die plastische Stärke wird erhöht durch die energischere
Betonung der Anatomie im Christuskörper, die größere Auflocke-
rung von Haar und Bart, die Bewegung im Schurz, besonders am
unteren Saum, der sich in zahlreichen Falten kräuselt und auch
die herabhängende Rückseite tiefer sehen läßt, so daß die Beine
räumlich von ihm umschlossen werden. Auch sonst dienen kleine
Wandlungen der Gewandmotive zur Erhöhung des räumlichen
Eindrucks, z. B. die Art, wie der Arm des Johannes aus dem Mantel
heraustritt, wie die herabhängenden Mantelenden sowohl bei Maria
wie bei Johannes an den Seiten des Körpers in stärkerer Verkür-
zung erscheinen anstatt der flächigen Ausbreitung in der Romanos-
Gruppe, wie auf den Flügeln die Arme der Heiligen aus dem Rahmen
heraustreten und die Engelsflügel die Trennungsstreifen überschnei-
den. Dazu wird auch der in der malerischen Gruppe beliebte Bal-
dachin, der die Figuren ebenfalls vom Hintergrund löst, wieder über-
nommen, nachdem er in der Romanos-Gruppe vermieden war.
Ebenso ist es mit der Intensität des Ausdrucks. Die Köpfe sind
stärker im Mitgefühl geneigt, und bei der Hälfte der erhaltenen
Stücke ist die Trauer des Johannes durch die ausdrucksvolle, wenn
auch etwas ungeschickte Gebärde des auf die Hand aufgestützten
Kinnes, die bei der Romanos-Gruppe nicht vorkommt, stärker zur
Erscheinung gebracht. Auch die Heiligen der Flügel zeigen ihre
Teilnahme, indem sie sich der Mitte zuwenden und den Kopf
neigen, während sie in der Romanos-Gruppe indifferent scheinen.
Endlich, was den Menschentypus anbetrifft, so treten an die Stelle
der schlanken, streng aufgerichteten Gestalten, kürzer proportio-
nierte, weniger vornehme von freierer Haltung, an Stelle der schma-
len hohen Köpfe rundere vollwangige, die bei der Hodegetria in den
besten Exemplaren wie Nr. i32 und 142 zu einer Anmut führen,
wie sie die Romanos-Gruppe nicht aufzuweisen hat. Zuweilen ent-
artet sie allerdings auch zu großer Häßlichkeit. Im ganzen ist diese
Gruppe sehr schematisiert und zeigt nur wenige Varianten, wie z. R.
beim Johannes neben dem Kreuz. Die Drapierung ist ganz stereotyp
und besonders bei der Maria sehr einförmig. Der Golgathahügel
unter dem Kreuz ist zu einer muschelartigen Form zusammen-
geschrumpft. Der Nimbus Christi ist der gleiche geblieben wie bei
der Romanos-Gruppe, ein Umstand, der den Zusammenhang sehr
deutlich macht. Eingeschnittene Beischriften fehlen vollständig,

an wenigen Stellen deuten Spuren auf aufgemalte Namen der
Heiligen.
Die Akroterien zur Seite der Kuppeln, die zuweilen zu einem orna-
mentierten Bogen zusammenschrumpfen, sind stets als senkrecht
aufgerichtetes Blatt gebildet, dessen gezackte Spitze nach unten
umgeknickt ist (in der malerischen Gruppe sind es durchgebildete
Akanthuspalmetten, in der Nikephoros-Gruppe büschelartige Ab-
wandlungen derselben). Zu bemerken ist auch, daß die Kreuze,
welche, wie allgemein üblich, die Rückseite der Flügel schmücken,
einen ganz bestimmten Typus repräsentieren, nämlich das auf einem
treppenförmigen Postament mit einer Rundscheibe stehende Kreuz,
dessen Armen keine Rundscheiben oder Rosetten vorgelegt sind
(vgl. Taf. LXIII Nr. y5, i55, 182, 184). Trotz einer großen Einheit-
lichkeit all dieser Kennzeichen der Gruppe gibt es kleine stilistische
Verschiebungen, die auf verschiedene Schnitzer oder Werkstätten
von Schnitzern hinweisen, wie sie ja zweifellos auch innerhalb einer
großen Schematisierung vorhanden sein mußten. So kann man eine
Anzahl von Stücken absondern, die etwas schlankere Körperver-
hältnisse zeigen und zugleich eine Abweichung zu einem häßlicheren
Gesichtstypus mit stark herabhängender scharfer Nase und Augen
mit tiefer gebogenem unterem Lid, was ihm ein vogelartiges, ge-
kniffenes Aussehen gibt, besonders ist dies bei der Hodegetria zu be-
obachten bei Nr. i38— i4o, 144? J4^ gegenüber der bei Nr. 12g—134,
142, i43, auch bei der Deesis in der Verschiedenheit von Nr. i5i
gegenüber Nr. i53, 154 und den Flügeln Nr. i83, 189, 190. Die
Differenzen bei den Darstellungen der Kreuzigung sind nur sehr
gering, diejenigen bei der Koimesis hauptsächlich in der Schar der
Apostel sichtbar.
Die Zeitbestimmung dieser Gruppe bekommt dadurch einen festen
Halt, daß eine große Anzahl ihrer Stücke als Schmuck von abend-
ländischen Ruchdeckeln aus der Zeit der sächsischen Kaiser ver-
wandt wurden und dadurch ungefähr mit dem Jahre 1000 einen
terminus ante quem bekommen (Nr. 133, 138, i3g, i5i, 176, 189).
Einzelne befinden sich auch schon auf Handschriften aus den zwei
letzten Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts (Nr. 129, i34, 148), so daß
man noch um 20 Jahre weiter zurückgehen kann. Sie waren also um
diese Zeit ein beliebtes Geschenk aus dem Osten und scheinen be-
sonders auf der Reichenau Eingang gefunden zu haben. Daß sie nicht
noch früher Vorkommen, könnte man damit begründen, daß vor den
letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts nur sehr wenig Prachthand-
schriften im westlichen Europa entstanden sind. Doch ergeben Stil
und Ikonographie der Elfenbeinreliefs, daß sie erst im Gefolge der
Romanos-Gruppe aufgetreten sein können. Was die untere Grenze
betrifft, so können ihre Ausläufer sehr wohl weit in das 11. Jahr-
hundert hineinragen.

Nikephoros-Gruppe
(Tafel XXX-XLVI)
NEBEN der Romanos- und der Triptychon-Gruppe läuft die Nike-
phoros-Gruppe parallel. Sie bietet den Vorteil, daß sie zwei
Platten einschließt, deren Datierung als fest anzusehen ist. Es sind
das Kreuzreliquiar in der Franziskanerkirche von Cortona (Nr. 77),
das in seiner Inschrift den Kaiser Nikephoros als Barbarensieger
nennt, mit dem Nikephoros II. Phokas (968—969) gemeint sein
* muß, und das Relief im Cluny-Museum in Paris, das die Krönung
des deutschen Kaisers Otto II. (973—983) und der griechischen
Prinzessin Theophano durch Christus darstellt (Nr. 85). Stilistisch
schließen sich diese beiden Reliefs mit vielen andern zu einer
großen Gruppe von verschiedener Qualität zusammen, zu der auch
eine Anzahl von Stücken gröberer Arbeit auf abendländischen
Buchdeckeln aus dem Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhun-
derts gehören (Nr. 94, io5, 106, 108, 121, 125). Nach diesen Daten
muß die Gruppe also gleichzeitig mit der Romanos- und der
 
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