Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grill, Erich
Der Ulmer Bildschnitzer Jörg Syrlin D. Ä. und seine Schule: ein Beitrag zur Geschichte der schwäbischen Plastik am Ausgang des Mittelalters — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 21: Strassburg: Heitz, 1910

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73234#0045
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 31 -

Einschließlich der zwei Portraits und der neun Sibyllen1
tagt also in der untersten Reihe eine Versammlung von 18
verschiedenen Büsten in halber Lebensgröße. Sie besitzen nicht
alle die gleiche künstlerische Qualität. Man fühlt, daß der
Schöpfer an den Kindern seines Schaffens gelernt und sich an
ihnen weitergebildet hat. Am Anfang stehen die «Samia» und
«Eritria» des Levitenstuhles. Die «Meisterin» und die «Del-
phica», «Seneca», das Selbstbildnis und «Secundus» markieren
eine zweite Phase, von der die Entwicklung aufwärts führt,
bis sie in der reizenden lybischen Sibylle und dem kraftvollen
«Quintilian» gipfelt2.
Trotz aller ästhetischen Wertunterschiede und trotz der
beabsichtigten Differenzierung in der Auffassung, müssen wir
die gesamten Wangenbüsten als eigenhändige Arbeiten des
älteren Syrlin betrachten. Das ergibt sich aus der bei allen
übereinstimmenden technischen Behandlung.
Anders bei den Rückwand- und Giebelbüsten. Die kleineren
Maße 3 und der höhere, vom Beschauer entferntere Standort,
ermöglichten an sich eine geringere Ausführung. Die Anferti-
gung der 71 Figuren4 bot Syrlins Schülern eine willkommene
Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Vielfach haben sie diese
Aufgabe nicht zufriedenstellend gelöst. Darum griff der Meister
zuweilen selbsttätig ein und schuf einzelne der dreiviertelrund
gearbeiteten Reliefs, die aus der bedeutungslosen Masse hervor-
ragen. Nur diese verdienen eine besondere Würdigung, während
im übrigen teils manierierte, teils grob verzeichnete Formen
vorkommen. Die Figuren der Rückwand tragen Spruchbänder,
auf denen der Name vermerkt ist, die des Giebels Attribute,
welche des öfteren eine sichere ikonographische Bestimmung
erschweren 5.

1 Sieben am Chorgestühl und zwei am Dreisitz.

2 Die entsprechende Anbringung — je am dritten Platz von Westen
— läßt vermuten, daß der Meister selbst sich des künstlerischen Vorzuges
dieser beiden Figuren bewußt war.

3 Zirka ') Lebensgröße.

4 Abb. in Pfleiderers Münsterwerk, T. 24, 25 u. T. 19.

5 Es ist nicht Sache einer ästhetischen Beurteilung, die Bedeutung
jedes einzelnen Bildwerkes genau festzulegen. Ich behalte daher die nicht
ganz einwandfreien Definitionen Pfleiderers bei.
 
Annotationen