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Grill, Erich
Der Ulmer Bildschnitzer Jörg Syrlin D. Ä. und seine Schule: ein Beitrag zur Geschichte der schwäbischen Plastik am Ausgang des Mittelalters — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 21: Strassburg: Heitz, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.73234#0068
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— 54 —

Gerne möchte man sich denken, daß mit diesem Lächeln
auf den Lippen Jörg Syrlin d. Aelt. in seinem Hause in der
«Ulmer gassen» entschlafen sei, als er in der ersten Hälfte
des Jahres 14911 nach einem arbeitsreichen Leben die Augen
schloß2.
Die Münchner Büsten möchte ich für seine letzten Arbeiten
halten 3. Vielleicht hat ihn der Tod vor Vollendung der Gruppe
überrascht. Dafür spräche, als rein äußerlicher Grund die Tat-
sache, daß die Skulpturen keine Spur eines Beize-Ueberzuges

1 Im Ulmer Zinsbuch der Frauenkirchenpflege (handschriftlich in der
Ulmer Stadtbibliothek) sind Syrlins Beiträge registriert. Da heißt es z. B.:
Joerg Surlin gitt alli Jahr ^ lib ^ ß vnj h(= 2 Pfund, 2 Schilling. 8 Heller),
1 wichenechtig hun (= ein Weihnachtshuhn). Das Zinsbuch von 1487 ver-
merkt einen Beitrag Syrlins «am wihzen suntag usser sinen hus in der
Ulmer gassen».
Im zweiten Bande von 1491 findet sich unter seinem Namen der Ein-
trag: dto 1 lib ^ ß vnj h (= 1 Pfund, 2 Schilling, 8 Heller) uff donners-
tag nach sant vytstag (= i5. Juni). Hier ist aber der Name «Joerg Sur-
lin» durchgestrichen und darüber geschrieben: «Eberhard Holwegk schreiner
Surlins tochtermann». Der Meister muß also in diesem Jahr gestorben
sein, da sein Schwiegersohn die Zahlungen übernimmt und von nun an
bis 1514 an seiner Stelle und als Besitzer des Hauses genannt wird. (Vgl.
bei Pfleiderer, Sp. 40, Anmkg. 6 und a. a. 0.)

2 Klemm erwähnt in der Allg. d. Biographie, ohne Quellenangabe:
der «bildhower Jerg» habe vor seinem Tode 1491 dem Münster zu Ulm
«einen Rock» vermacht (desgl. sein Weib 1498). — Gemeint sind wohl
Meßgewänder, deren Stiftung im Testament vorgesehen war.

3 Vgl. dagegen Halm, der sie «nur wenige Jahre nach 1474» ansetzt.
— J. Baum (Stuttgart) datiert die Skulpturen, unter Berufung auf eine
Urkunde, nach 1477, leitet sie von einem «Weingartner Altar» her
und spricht Syrlin aus stilistischen Gründen die Autorschaft ab. Dagegen
ist geltend zu machen :
1. Von einem Altar können die Büsten nicht stammen. Wie sollten
die zwölf Bildnisse von denen immer nur je zwei oder drei einander ent-
sprechen, in einem Schrein angebracht sein? Eine Analogie hierzu ließe
sich kaum nachweisen. Die Aufstellung der Brustbilder von Christus und
den zwölf Aposteln in der Predella (vgl. Sterzinger und Blaubeurer Altar)
ist damit nicht in Vergleich zu setzen. Zur Anbringung an der Altarbe-
krönung (etwa wie in dem Rankenwerk über dem Blaubeurer Schrein)
sind die Weingartner Skulpturen zu schwer. Auch erscheint ihre Ausführung
für diesen Zweck zu fein.
2. Die stilistische Verwandtschaft mit den Wangenbüsten des Ulmer
Chorgestühls ist evident. Unterschiede, z. B. in der Technik, die offenbar
bestehen, berechtigen noch nicht, sofort auf eine andere Meisterhand zu
schließen. Durch solches Verfahren würde man dem Künstler die Möglich-
keit der freien Stilentwicklung bestreiten. In den Münchner Büsten sehe
ich also den entwickelteren («reifen Spätstil») des älteren Syrlin und nicht
eine fremde Kunstart.
 
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