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Grill, Erich
Der Ulmer Bildschnitzer Jörg Syrlin D. Ä. und seine Schule: ein Beitrag zur Geschichte der schwäbischen Plastik am Ausgang des Mittelalters — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 21: Strassburg: Heitz, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.73234#0091
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77 —

Sürlin überhaupt erhalten ist1 — und die des Salomo die
erste Stelle in Bezug auf ihre künstlerische Bedeutung ein.
Aber ein vergleichender Blick auf die Ulmer Büsten sagt uns,
daß sie sich mit diesen in keiner Weise messen können.
Wahllos sind sie aneinander gereiht. Jede scheint nur mit
sich selbst beschäftigt, als ginge sie die ganze Umgebung, in
die sie hinein versetzt ist, gar nichts an. Und doch gewahren
wir unter den Blaubeurer Typen kaum eine «Persönlichkeit»,
der wir ein starkes Eigenleben zutrauen. Um als rein deko-
rative Elemente gelten zu können, verraten sie aber wieder
zuviel Individualität — um als Portraits bewertet zu werden,
dagegen zu wenig.
Wie in der Ornamentik, so besteht also auch im Figür-
lichen ein Mißverhältnis.
V. Der Levitenstuhl in Blaubeuren 2 (Eichenholz dunkel
gebeizt) ist nicht, wie der Ulmer in die Anlage des Chorgestühls
hineinbezogen. Isoliert lehnt er an der südlichen Chorwand,
dicht vor dem Altar. Auch hier überwiegt, wie bei dem
Blaubeurer Gestühl, die Gediegenheit des unteren Gestelles,
den Ausbau des oberen Aufsatzes. Unter fünf von kleinen Ge-
wölben überragten Nischen befinden sich drei Sitze, deren mitt-
lerer durch zwei Stufen erhöht und als seitlich freistehender
Stuhl ohne Lehne gezimmert ist. Intarsien und Blattwerk be-
leben die Rückwände, gotische Muster die Vorderseiten der
Bänke und die unteren Partien, auch der leeren Nischen. Im
obersten Dorsalfeld über dem mittleren Sessel ist eine kleine Re-
lieffigur eines schlafenden bärtigen Mannes angebracht. Sie
gab den Anstoß zur Entstehung der Sage: Die Mönche hätten
dem Meister Sürlin die Augen ausgestochen, damit er keine
solchen Werke wie in ihrer Kirche mehr schaffen könne. Als
Geblendeter habe er sich selbst so abgebildet. — In Wahrheit
handelt es sich aber um eine Darstellung der «Wurzel Jesse» 3.

1 An seinen sämtlichen Werken befindet sich, außer den besprochenen
unbedeutenden Reliefs am Eingang des Blaubeurer Gestühls, sonst keine
weibliche Figur.

2 Abb. bei Bach und Baur, T. 16.

3 Vgl. Altes Testament: Jesaias 11, 1 «Und es wird eine Rute auf-
gehen von dem Stamme Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht
bringen».
 
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