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Einzelformen weisen auf Multschers Werkstatt L Gegen 1467
ist dieser Künstler in Ulm gestorben. Vielleicht dürfen wir es
als eine feinsinnige Huldigung seines Vorgängers auffassen,
wenn Syrlin einem aus dessen Kreis stammenden Bildwerk den
Ehrenplatz auf dem 1468 begonnenen Gestühl einräumt. Die
Zeugen des eigenen Schaffens haben dadurch nicht verloren,
sondern eher gewonnen.
Das gotische Maßwerk-Ornament, das den Aufsatz des
Levitenstuhls überzieht, wird unterbrochen durch Wimperge,
unter denen 8 lebensvolle männliche Brustbilder herausschauen.
Spruchbänder unter ihnen bezeichnen sie als: Jesaias, David
und Daniel, gegen den Chor; auf der Gegenseite über dem
1 Stadler hat die Verwandtschaft namentlich mit zwei Werken Mult-
schers überzeugend nachgewiesen:
1. Christus auf der Eselin reitend (sog. «Palmesel»). Ulm, Gewerbe-
museum. Abb. Stadler, T. 12.
2. Johannes d. T. aus Sterzinger Privatbesitz an den Maler Etten-
hofer verkauft und mit dessen Sammlung in München versteigert). Abb.
Stadler, T. 9.
Die Aehnlichkeit mit dem Ulmer Christus ist in die Augen springend.
Sie erscheint so groß und die Unterschiede sind so gering, daß man die
drei Arbeiten unbedenklich als aus einer Werkstatt — nämlich der Mult-
schers hervorgegangen ansehen kann. Als besonders typisch für diese
Figuren, im Gegensatz zu Syrlinschen Werken, möchte ich
noch hervorheben:
a| Die Haarbehandlung: wie eine schwere Perücke, die über den
Kopf gezogen und als Masse behandelt ist.
b) Uebernatürliches langes und schmales Gesicht mit stark eingefal-
lenen Wangen — fast an Donatellos Holzstatue des Giovanni Battista (um
1450 Venedig, S. Maria dei Frari) erinnernd. — Breite Oberlippe.
c) Die ungeschickte Bewegung (in den Händen genau wiederholt s.
T. 12 u. 13). Falsch verstandener Kontrapost [vgl. auch den Sterzinger
St. Georg, Abb. Max Sauerlandt: «Deutsche Plastik des Mittelalters»
(Verl. Karl Robert Langewiesche) S. 64]. Die eine Körperhälfte übermäßig
belastet.
d) Das geringe anatomische Verständnis, besonders zum Ausdruck
kommend; in dem dicken runden Hals auf schmaler Brust. Brust- und
Schlüsselbein (sowie Rippenansatz) nicht hervorgehoben. (Vgl. dagegen die
Büsten am Ulmer Chorgestühl). Der Körper läßt bei aller Magerkeit kaum
die innere Struktur ahnen. Das Lendentuch scheint nur dazu zu dienen,
die mangelnde Klarheit der Gelenke zu verdecken. Unter diesem künstlich
gewundenen Tuch fehlt offenbar jeder organische Zusammenhang zwischen
Ober- und Unterkörper.
e) Auf überschlanken Beinen — die schwachen Ober- und die fast
ebenso starken Unterschenkel stehen in keinem richtigen Verhältnis — ein
unsicheres Stehen. Einknicken in den Knieen. Vorquellen des Unterleibes.
Einzelformen weisen auf Multschers Werkstatt L Gegen 1467
ist dieser Künstler in Ulm gestorben. Vielleicht dürfen wir es
als eine feinsinnige Huldigung seines Vorgängers auffassen,
wenn Syrlin einem aus dessen Kreis stammenden Bildwerk den
Ehrenplatz auf dem 1468 begonnenen Gestühl einräumt. Die
Zeugen des eigenen Schaffens haben dadurch nicht verloren,
sondern eher gewonnen.
Das gotische Maßwerk-Ornament, das den Aufsatz des
Levitenstuhls überzieht, wird unterbrochen durch Wimperge,
unter denen 8 lebensvolle männliche Brustbilder herausschauen.
Spruchbänder unter ihnen bezeichnen sie als: Jesaias, David
und Daniel, gegen den Chor; auf der Gegenseite über dem
1 Stadler hat die Verwandtschaft namentlich mit zwei Werken Mult-
schers überzeugend nachgewiesen:
1. Christus auf der Eselin reitend (sog. «Palmesel»). Ulm, Gewerbe-
museum. Abb. Stadler, T. 12.
2. Johannes d. T. aus Sterzinger Privatbesitz an den Maler Etten-
hofer verkauft und mit dessen Sammlung in München versteigert). Abb.
Stadler, T. 9.
Die Aehnlichkeit mit dem Ulmer Christus ist in die Augen springend.
Sie erscheint so groß und die Unterschiede sind so gering, daß man die
drei Arbeiten unbedenklich als aus einer Werkstatt — nämlich der Mult-
schers hervorgegangen ansehen kann. Als besonders typisch für diese
Figuren, im Gegensatz zu Syrlinschen Werken, möchte ich
noch hervorheben:
a| Die Haarbehandlung: wie eine schwere Perücke, die über den
Kopf gezogen und als Masse behandelt ist.
b) Uebernatürliches langes und schmales Gesicht mit stark eingefal-
lenen Wangen — fast an Donatellos Holzstatue des Giovanni Battista (um
1450 Venedig, S. Maria dei Frari) erinnernd. — Breite Oberlippe.
c) Die ungeschickte Bewegung (in den Händen genau wiederholt s.
T. 12 u. 13). Falsch verstandener Kontrapost [vgl. auch den Sterzinger
St. Georg, Abb. Max Sauerlandt: «Deutsche Plastik des Mittelalters»
(Verl. Karl Robert Langewiesche) S. 64]. Die eine Körperhälfte übermäßig
belastet.
d) Das geringe anatomische Verständnis, besonders zum Ausdruck
kommend; in dem dicken runden Hals auf schmaler Brust. Brust- und
Schlüsselbein (sowie Rippenansatz) nicht hervorgehoben. (Vgl. dagegen die
Büsten am Ulmer Chorgestühl). Der Körper läßt bei aller Magerkeit kaum
die innere Struktur ahnen. Das Lendentuch scheint nur dazu zu dienen,
die mangelnde Klarheit der Gelenke zu verdecken. Unter diesem künstlich
gewundenen Tuch fehlt offenbar jeder organische Zusammenhang zwischen
Ober- und Unterkörper.
e) Auf überschlanken Beinen — die schwachen Ober- und die fast
ebenso starken Unterschenkel stehen in keinem richtigen Verhältnis — ein
unsicheres Stehen. Einknicken in den Knieen. Vorquellen des Unterleibes.