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schon zu etwas Natürlichem in Italien geworden. Man hat
das Bedürfniß dort, sich, auch wo nur Brot gebacken wird,
auf kochender Lava zu empfinden. Die „Gartenlaube" war
den beiden Handwerkerkindern in ihrem Dorfe eine fanftere
Lehrmeisterin. Aber auch ihnen ließ sie das Erringen
literarischen Ruhmes auf direktem Wege als möglich er-
scheinen. Sie lehrte sie die geistige Gleichheit der Menschen,
leitete den Athemzug der deutschen nationalen Bewegung in
ihre Einsamkeit, lehrte Johanna sich selbst vertrauen und flößte
dem armen Mädchen den „Heißhunger nach dem Wissen" ein,
das es „als Kind in Thränen ausbrechen ließ". Den
Zeitungen und dem Neuen Testamente entnahm Johanna die
Lehren hoher Resignation, die den Grundton ihrer Dichtungen
bildet. Wenn ich Goethe und Shakespeare hier nennens, so
kann ich Johanna Ambrosius und Ada Negri mit diesen beiden
nicht vergleichen wollen: der geistigen Verwandtschaft nach
aber gehören sie zu ihrer Sippe. Sie sind edelgeboren. Wo
der echte Dichter etwas sagt, erscheint ein Bild vor unserem
geistigen Auge, wo ihn etwas erfreut, erfreut es auch uns,
wo Dichter um etwas trauern, zwingen sie auch uns zu
trauern. Es gibt ein Zeichen, das den wirklichen Dichter er-
kennen läßt: das jedem seiner Gedichte unsichtbar vorgedruckte
Motto: „Aus tiefster Noth schrei' ich zu Dir!" Auch der
armen kranken Bauersfrau „gab ein Gott zu sagen, was sie
leidet".
Der Gedanken- und Gefühlsgemeinschaft allen Menschen-
volkes entwachsen neue Pflichten heute. Wenn die „Elbe"
') In auffallender, unschuldiger Weise hat sie einige Verse Goethe's
einmal nachgeahmt, obgleich diese Annahme nicht als zwingend noth-
wendig erscheint.
schon zu etwas Natürlichem in Italien geworden. Man hat
das Bedürfniß dort, sich, auch wo nur Brot gebacken wird,
auf kochender Lava zu empfinden. Die „Gartenlaube" war
den beiden Handwerkerkindern in ihrem Dorfe eine fanftere
Lehrmeisterin. Aber auch ihnen ließ sie das Erringen
literarischen Ruhmes auf direktem Wege als möglich er-
scheinen. Sie lehrte sie die geistige Gleichheit der Menschen,
leitete den Athemzug der deutschen nationalen Bewegung in
ihre Einsamkeit, lehrte Johanna sich selbst vertrauen und flößte
dem armen Mädchen den „Heißhunger nach dem Wissen" ein,
das es „als Kind in Thränen ausbrechen ließ". Den
Zeitungen und dem Neuen Testamente entnahm Johanna die
Lehren hoher Resignation, die den Grundton ihrer Dichtungen
bildet. Wenn ich Goethe und Shakespeare hier nennens, so
kann ich Johanna Ambrosius und Ada Negri mit diesen beiden
nicht vergleichen wollen: der geistigen Verwandtschaft nach
aber gehören sie zu ihrer Sippe. Sie sind edelgeboren. Wo
der echte Dichter etwas sagt, erscheint ein Bild vor unserem
geistigen Auge, wo ihn etwas erfreut, erfreut es auch uns,
wo Dichter um etwas trauern, zwingen sie auch uns zu
trauern. Es gibt ein Zeichen, das den wirklichen Dichter er-
kennen läßt: das jedem seiner Gedichte unsichtbar vorgedruckte
Motto: „Aus tiefster Noth schrei' ich zu Dir!" Auch der
armen kranken Bauersfrau „gab ein Gott zu sagen, was sie
leidet".
Der Gedanken- und Gefühlsgemeinschaft allen Menschen-
volkes entwachsen neue Pflichten heute. Wenn die „Elbe"
') In auffallender, unschuldiger Weise hat sie einige Verse Goethe's
einmal nachgeahmt, obgleich diese Annahme nicht als zwingend noth-
wendig erscheint.