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Publicum durch blühende Farben und durch Darstellungen
leicht verständlicher, nicht zu sehr in die Tiefe gehender Scenen
entgegen. Für ernstere Lebensauffassung werden Wittwen,
Waisen und Krankenbetten, erschossene Wilddiebe, Großeltern
in den verschiedenen Abstufungen hilfloser Gutmttthigkeit, Ge-
burtstage, Wochenstuben und Liebesfrühlinge mit Vorliebe
gemalt, auch wohl gemeißelt, und erregen Theilnahme. Bild-
hauer ziehen Adam und Eva vor. Heilige Scenen dienen
den Malern fast nur noch als Träger von Beleuchtungs-
effecten; eine gewisse kindische märchenhafte Auffassung von
Engeln ist nicht selten.
Die letzte Münchener Secessionistenausstellung bot der
Großen Berliner Ausstellung von 1894 gegenüber mehr den
Anblick ernsthaft empvrwollender, ringender Kraft dar. Man
sah viele dieser Werke mit persönlicher Theilnahme an. Man
fragte sich, woher der und jener Künstler wohl gekommen sei,
wohin er gelangen werde. Dieser Zug des Problematischen
fehlt der Berliner Großen Kunstausstellung von 1894 durch-
aus. Sie enthält keine Werke, die die Fortentwicklung eines
Künstlers bekundeten. Nur hier und da hält ein Gemälde
unsere Schritte auf, aber nicht für lange.
Drei lebensgroße Bildnisse, aus derselben Hand hervor-
gegangen, erscheinen als besondere Werke. Sie unterscheiden
sich von der Masse der übrigen dadurch, daß sie im Sinne
der großen Kunst Anspruch auf die Ehre erheben diirften, in
ein Museum ausgenommen zu werden. Die europäische Por-
trätmalerei entwickelte sich bis zum Ende des vorigen Jahr-
hunderts inl Anschluß an die gesammte herrschende Kultur
der Zeit in fortlaufender, man könnte sagen genealogisch ver-
folgbarer Fortbildung des Gegebenen. England, Frankreich
Herman Grimm, Fragments II, 12
Publicum durch blühende Farben und durch Darstellungen
leicht verständlicher, nicht zu sehr in die Tiefe gehender Scenen
entgegen. Für ernstere Lebensauffassung werden Wittwen,
Waisen und Krankenbetten, erschossene Wilddiebe, Großeltern
in den verschiedenen Abstufungen hilfloser Gutmttthigkeit, Ge-
burtstage, Wochenstuben und Liebesfrühlinge mit Vorliebe
gemalt, auch wohl gemeißelt, und erregen Theilnahme. Bild-
hauer ziehen Adam und Eva vor. Heilige Scenen dienen
den Malern fast nur noch als Träger von Beleuchtungs-
effecten; eine gewisse kindische märchenhafte Auffassung von
Engeln ist nicht selten.
Die letzte Münchener Secessionistenausstellung bot der
Großen Berliner Ausstellung von 1894 gegenüber mehr den
Anblick ernsthaft empvrwollender, ringender Kraft dar. Man
sah viele dieser Werke mit persönlicher Theilnahme an. Man
fragte sich, woher der und jener Künstler wohl gekommen sei,
wohin er gelangen werde. Dieser Zug des Problematischen
fehlt der Berliner Großen Kunstausstellung von 1894 durch-
aus. Sie enthält keine Werke, die die Fortentwicklung eines
Künstlers bekundeten. Nur hier und da hält ein Gemälde
unsere Schritte auf, aber nicht für lange.
Drei lebensgroße Bildnisse, aus derselben Hand hervor-
gegangen, erscheinen als besondere Werke. Sie unterscheiden
sich von der Masse der übrigen dadurch, daß sie im Sinne
der großen Kunst Anspruch auf die Ehre erheben diirften, in
ein Museum ausgenommen zu werden. Die europäische Por-
trätmalerei entwickelte sich bis zum Ende des vorigen Jahr-
hunderts inl Anschluß an die gesammte herrschende Kultur
der Zeit in fortlaufender, man könnte sagen genealogisch ver-
folgbarer Fortbildung des Gegebenen. England, Frankreich
Herman Grimm, Fragments II, 12