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Grosjean, Georges [Hrsg.]; Cavelti, Madlena [Hrsg.]
500 Jahre Schweizer Landkarten — Zürich, 1971

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https://doi.org/10.11588/diglit.10984#0022

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Mercator überein, in der Schreibweise sind etliche Abweichungen.
Außerdem hat Sgrooten lateinische, an die antiken oder mittelalter-
lichen Verhältnisse anklingende Regionalnamen beigefügt. Auch die
Ortschaften hat Sgrooten ganz anders behandelt als alle seine mög-
lichen Vorbilder. Hier zeigt sich der Niederländer und Spanier, der
bereits Freude hat an der modernen Befestigungskunst mit bastionier-
ten Wällen, deren Erfassung zur Grundrißdarstellung führte. Die mit-
telalterliche Stadt mit ihren vielen Türmen manifestierte sich in der
vertikalen Dimension und lockte zu seitlicher Ansicht. Die Barock-
stadt mit ihrem geometrisch konzipierten Grundriß und Festungs-
system zwang zum Grundriß. Wir erleben hier einen Wandel in der
kartographischen Darstellung der Städte, der sich in der Schweiz
erst im 17.Jahrhundert vollziehen wird. Die Städte der spanischen
Freigrafschaft sind damals zu einem guten Teil bereits mit bastio-
nierten Befestigungen umgeben und von Sgrooten entsprechend
dargestellt. Daraus ergab sich notwendigerweise die Anpassung der
schweizerischen Städte an diese Darstellungswcise, so daß steile Vogel-
schauansichten entstanden, welche nur die Ringmauern, Kirchen und
Türme enthalten. Für einige Städte, wie Basel, Biel und Solothurn,
sind sie bemerkenswert getreu. Es müssen gute Ansichten vorgelegen
haben, wahrscheinlich Braun-Hogenbergs Städtcatlas, dessen erster
Band, in welchem die Schweizer Städte sind, 1572 erschienen war.
Andere Stadtbilder, wie Aarberg, Neuenstadt und Wicdlisbach, sind
Phantasie.

HANS KONRAD GYGER

Das 16.Jahrhundert war im kartographischen Schaffen der Schweiz
außerordentlich fruchtbar. Eine große Zahl eigenständiger Pionier-
leistungen sind vollbracht worden. Die Zahl der Kartenschaffenden
ist groß und reich an originellen und überragenden Persönlichkeiten.
Es sind zumeist Wissenschafter, Humanisten, Theologen, Ärzte,
Mathematiker, unter ihnen auch Staatsmänner. Im 17.Jahrhundert
steigt die Kartographie der Schweiz zu einem neuen Höhepunkt an,
der aber fast nur durch eine einzige Persönlichkeit markiert ist:
Hans Konrad Gyger von Zürich. Wir wollen zwar hier keines-
wegs in eine enthusiastische Überhöhung Gygcrs verfallen, wie sie
in andern Werken etwa durchschimmert. Wir werden alles kritisch
wägen und uns bemühen, Gygers eigentliche Leistung möglichst
klar herauszuschälen, soweit es in diesem beschränkten Rahmen mög-
lich ist. Wir werden sogar andeuten, daß auch Gyger Vorbilder hatte
und nicht alles so eigenständig ist, wie man es gelegentlich dargestellt
hat. Das alles aber tut Gygers überragender Stell ung keinen Abbruch.
Es gab zwar eine recht stattliche Zahl von Kriegsingenieuren und
Feldmessern in der Schweiz des 17. Jahrhunderts, unter ihnen einige
sehr begabte, die bemerkenswerte Einzclwerke schufen, meist in Form
von handgezeichneten Plänen in größeren Maßstäben, vorwiegend
aus militärischen Interessen und Notwendigkeiten. Denn es war ja
die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, später der Kriege Ludwigs XIV.,
die an die Grenze der Eidgenossenschaft brandeten, und dazu die Zeit
permanenter innerer Spannungen, die sich im Bauernkrieg und im
Ersten Villmerger Krieg entluden. Keiner der Feldmesser und Kriegs-
ingenieure reicht aber an Hans Konrad Gyger heran. Einige erreich-
ten ihn zwar in der Genauigkeit der Vermessung, andere in der
künstlerischen Darstellung, andere in beidem, keiner aber im Umfang
des (Euvres, an Strahlungskraft und Einfluß auf die Kartographie der
Schweiz und über die Schweiz im 17. Jahrhundert. Wir setzen daher
mit vollem Bewußtsein stellvertretend Hans Konrad Gygers Namen
über das Kapitel, das der Kartographie der Schweiz des 17.Jahr-
hunderts gewidmet ist.

Die Zeit war vorbei, in der Wissenschafter und Amateure Land-
karten völlig frei oder mit dem Zirkel aus Wegdistanzen konstruieren
konnten. Die moderne Befestigungskunst, schon um 1500 von den
Italienern geübt und um 1600 von den Niederländern im Kampf
gegen Spanien weiterentwickelt, das Artillerie- und Fcldbefestigungs-
wesen führten zum neuen Typ des Kriegsingenieurs, der freilich
seine Kenntnisse nicht auf einer technischen Hochschule, sondern in

der Praxis des Feldlagers erwarb. Zum Abstecken von Lagern und
Feldbefestigungen, zum Berechnen der Schußdistanzen und Richt-
winkel von Kanonen und Mörsern, zum Erstellen von Karten und
Plänen von zu verteidigenden oder zu belagernden Städten, von
Flußübergängen und möglichen Schlachtfeldern benötigte man Ver-
messung und Trigonometrie. Die Meßverfahren waren der Polygon-
zug mit Bussole und Rute (Meßstange), das Vorwärtseinschneiden von
zwei bekannten Punkten aus mit «Winkelscheiben», Quadranten,
Sextanten und ähnlichen Instrumenten, verbunden mit rechnerischer
oder graphischer Triangulation, das Meßtischverfahren als graphische
Triangulation im Felde. Es wurden auch Meßdreiecke konstruiert, an
denen mit beweglichen Linealen und Kreisteilungen die im Gelände
gemessenen Dreieckelemente in verkleinertem Maßstabe eingestellt
und damit die gesuchten Distanzen abgelesen werden konnten. Zu
dieser Art von Instrumenten gehörte das von Leonhard Zubler in
Zürich 1603 beschriebene Instrument. Das alles aber war damals nicht
neu und lag in der Luft. Einzelne der Meßverfahren waren schon
früh im 16. Jahrhundert beschrieben worden, aber anscheinend in der
Praxis nur selten zur Anwendung gekommen. Es ist eine übertriebene
Reverenz vor seiner Wahlheimat, wenn Leo Weisz (Lit.41, 1 .Aufl.
S. noff, 2. Aufl. S. H4ff.) in der Entwicklung der neuen Feldmeß-
kunst und der zugehörigen Instrumente der Schweiz im allgemeinen
und Zürich im besonderen ein außerordentliches Verdienst zuschreibt.
Die neue Kriegs- und Befestigungskunst samt Drill und allem, was
dazu gehörte, kam damals von den Niederlanden und wurde in der
Schweiz nur sehr widerstrebend und unter Zuhilfenahme ausländi-
scher Militärfachlcute eingeführt. Die Schweiz war um 1600 nicht
mehr « die stärkste europäische Militärmacht», wie Leo Weisz (1. Aufl.
S. 110, 2.Aufl. S. 114) behauptet. Das war vor hundert Jahren ge-
wesen. Jetzt war man in jeder Hinsicht auf einem Tiefstand. Das
hinderte natürlich nicht, daß Hans Konrad Gyger mindestens in Ver-
messung und Kartographie ein hervorragender Militäringenieur war
und in Zürich durch Instrumentenbauer wie Philipp Eberhard und
Leonhard Zubler, durch Mathematiker wie Philipp Gyger und vor
allem den aus Davos stammenden Zürcher Kriegsingenieur Johannes
Ardüser entscheidende Impulse empfing. Unmittelbare Einflüsse von
Jost Bürgi, dem schweizerischen Logarithmcnerfinder, der seit 1579
im Auslande, in Kassel und Prag, wirkte, können kaum für Hans
Konrad Gyger gebucht werden. Auch der Hinweis von Leo Weisz
(Lit.41, i.Aufl. S. 116, 2.Aufl. S.120), daß man den Niederländer
Willebrord Snellius «sehr zu Unrecht» als Begründer der Triangulation
bewundere, weil die Zürcher schon früher trianguliert hätten, beruht
auf einer verhängnisvollen Verwechslung, die im Interesse der Wahr-
heit und der Gerechtigkeit gegenüber Snellius richtiggestellt werden
muß. Was Zubler in seinen Büchlein von 1601 und 1603 darstellt
(Abb. in Lit.41, i.Aufl. S. 114/115, 2. Aufl. S. n 8/119), ist eine feld-
mäßige Distanzmessung zum Geschützrichten nach dem längst be-
kannten Prinzip des Vorwärtseinschneidens von zwei Punkten aus,
wobei nur die verwendeten Instrumente originell sind: Meßdreiecke,
an denen gleich die Distanz am verkleinerten Modell abgelesen wer-
den konnte. Was Snellius 1615 ausführte, war eine wissenschaftliche
Präzisionstriangulation zum Zwecke einer Meridianmessung für die
höchsten Ansprüche der Geodäsie. Das Instrument, das Hans Konrad
Gyger unten rechts auf der großen Zürcher Karte von 1667 nebst
einem Blatt mit Dreiecksnetz abbildet, ist nicht eines der besondern
von Eberhard und Zubler beschriebenen und abgebildeten Instru-
mente, sondern ein einfacher Halbkreis mit Winkelteilung und be-
weglichem, mit einer Bussole versehenem Dioptcrlineal, ähnlich wie
es schon Sebastian Münster 1528 abbildet, einzig daß bei Münster
die Bussole auf der Scheibe und nicht am Lineal angebracht ist.
(Repr.Lit.41, i.Aufl. S.61, 2. Aufl S.63.)

Das Verdienst Hans Konrad Gygers bestand nicht in der Entwicklung
besonderer Vermessungstechniken, sondern darin, daß er die bekannten, meist
aber nur im kleinen Perimeter zum militärischen Gebrauch eingesetzten
Methoden mit einem staunenswerten Arbeitsaufwand und Geschick kon-
sequentfür die Aufnahme eines ganzen Kantons von der Größe Zürichs
angewendet und damit Resultate erzielt hat, die in seiner Zeit tatsächlich
außerordentlich sind.

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