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Einleitung
Auflehnung gegen die rationalistische Welle der Aufklärung wie zu
einer Besinnung auf das organische Wachstum nationaler Gemein-
schaftswerte in geschichtlicher, geistiger und wirtschaftlicher Eigen-
art. Diese neue, mit dem Begriff des Volkstums verbundene und
von ihm abhängige Einstellung regte auch die ersten Sammlungen
von volkstümlichem Kunstgut an. In England schuf Thomas Percy
1765 die erste Sammlung englischer und schottischer Volkslieder, in
Deutschland gab Herder 1778 Volkslieder verschiedener Völker her-
aus, 1806 erschien die erste große Veröffentlichung deutscher Volks-
lieder von Achim von Arnim und Clemens Brentano in der dreibändigen
Sammlung „Des Knaben Wunderhorn", 1807 und 1818 gab Joseph
Görres „Die deutschen Volksbücher" und die „Altdeutschen Volks-
und Meisterlieder" heraus; auch die Malerei nahm die Themen der
landschaftlichen Naturschilderung und der Volks- und Geschichts-
schilderung auf.
Wie Justus Möser in seinen „Patriotischen Phantasien" (1774), so
hatte auch Herder diese romantische Bewegung vorbestimmt in seiner
Auffassung von einer naturgegebenen Volksseele, die anonym wir-
kend den geistigen Prozeß einer Nation gestalte und sich nicht rein
verstandesgemäß erfassen und lenken lasse. Diese neue Anschauung
von den geschichtlichen Triebkräften drängte zu einer weitausgrei-
fenden Erforschung des Volkstums. In Deutschland (aber auch in
anderen Staaten wie England, Italien, Skandinavien usw.) begann
eine wahre Sammelleidenschaft von Volksüberlieferungen in Glaube
und Brauch, Sprache und Mundart, Lied und Märchen, Sage und
Heldengeschichte, und im Rahmen einer deutschen Altertumskunde,
welche die deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine
große geistige Entwicklung zu bringen suchte, fanden sich künst-
lerische, philosophische, historische und politische Interessengebiete
zusammen. Das politisch-historische Gebiet übernahm in Männern
wie Jahn1 und Arndt eine rein vaterländische Mission im Zusammen-
hang mit der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung im Anfang
des 19.Jahrhunderts, und das philologisch-historische wurde durch
die Brüder Grimm zu dem großen wissenschaftlichen Bau der Ger-
manistik erschlossen. In dieser Zeit der nationalen Begeisterung und
Selbstentdeckungfand besonders die Arbeit der Brüder Grimm starken
Widerhall. Die Hebung gesunkener Schätze deutscher Vergangenheit,
die Erforschung nationaler Überlieferungen wurde, besonders durch
1 Das Wort Volkstum bildete Jahn in seiner Schrift „Deutsches
Volkstum" (1810) zuerst.
Einleitung
Auflehnung gegen die rationalistische Welle der Aufklärung wie zu
einer Besinnung auf das organische Wachstum nationaler Gemein-
schaftswerte in geschichtlicher, geistiger und wirtschaftlicher Eigen-
art. Diese neue, mit dem Begriff des Volkstums verbundene und
von ihm abhängige Einstellung regte auch die ersten Sammlungen
von volkstümlichem Kunstgut an. In England schuf Thomas Percy
1765 die erste Sammlung englischer und schottischer Volkslieder, in
Deutschland gab Herder 1778 Volkslieder verschiedener Völker her-
aus, 1806 erschien die erste große Veröffentlichung deutscher Volks-
lieder von Achim von Arnim und Clemens Brentano in der dreibändigen
Sammlung „Des Knaben Wunderhorn", 1807 und 1818 gab Joseph
Görres „Die deutschen Volksbücher" und die „Altdeutschen Volks-
und Meisterlieder" heraus; auch die Malerei nahm die Themen der
landschaftlichen Naturschilderung und der Volks- und Geschichts-
schilderung auf.
Wie Justus Möser in seinen „Patriotischen Phantasien" (1774), so
hatte auch Herder diese romantische Bewegung vorbestimmt in seiner
Auffassung von einer naturgegebenen Volksseele, die anonym wir-
kend den geistigen Prozeß einer Nation gestalte und sich nicht rein
verstandesgemäß erfassen und lenken lasse. Diese neue Anschauung
von den geschichtlichen Triebkräften drängte zu einer weitausgrei-
fenden Erforschung des Volkstums. In Deutschland (aber auch in
anderen Staaten wie England, Italien, Skandinavien usw.) begann
eine wahre Sammelleidenschaft von Volksüberlieferungen in Glaube
und Brauch, Sprache und Mundart, Lied und Märchen, Sage und
Heldengeschichte, und im Rahmen einer deutschen Altertumskunde,
welche die deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine
große geistige Entwicklung zu bringen suchte, fanden sich künst-
lerische, philosophische, historische und politische Interessengebiete
zusammen. Das politisch-historische Gebiet übernahm in Männern
wie Jahn1 und Arndt eine rein vaterländische Mission im Zusammen-
hang mit der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung im Anfang
des 19.Jahrhunderts, und das philologisch-historische wurde durch
die Brüder Grimm zu dem großen wissenschaftlichen Bau der Ger-
manistik erschlossen. In dieser Zeit der nationalen Begeisterung und
Selbstentdeckungfand besonders die Arbeit der Brüder Grimm starken
Widerhall. Die Hebung gesunkener Schätze deutscher Vergangenheit,
die Erforschung nationaler Überlieferungen wurde, besonders durch
1 Das Wort Volkstum bildete Jahn in seiner Schrift „Deutsches
Volkstum" (1810) zuerst.