DRITTER ABSCHNITT
Volkskunst und Heimatpflege
Die Geschichte der deutschen Volkskunst endet mit dem 19. Jahr-
hundert. Die technischen Fortschritte in Verkehr, Wirtschaft
und Handel hoben mit den großen Entfernungen auch die Abge-
schlossenheit der völkischen Bezirke auf. Die Industrialisierung der
Werktätigkeit ließ den Wettbewerb des Hausfleißes und Handwerkes
mit den Fabrikanten bald als aussichtslos erscheinen. Eigenart und
Eigenform, volkstümlicher Glaube und Formwille wurden von der
großen vereinheitlichenden Welle der modernen Weltwirtschaft auf-
gelöst, die Gegensätze von Stadt und Land ausgeglichen, in einigen
Jahrzehnten erlosch das gewaltige alte Volkshandwerk. Die wenigen
selbständigen Töpfer, die heute noch für kleine Landbezirke arbeiten,
sind weder wirtschaftlich noch künstlerisch lebensfähig; die Schnitzer,
Glasbläser, Weber und Spitzenarbeiter der Heimindustrie sind,
genossenschaftlich organisiert, vom Markt völlig abhängig, nur eine
letzte Nachhut volkstümlicher Kunstübung. Alle Wiederbelebungs-
versuche, die in romantischer Selbsttäuschung unternommen wurden,
mußten scheitern, weil die geistigen Voraussetzungen fehlten: die
ererbte alte Volksglaubenswelt und die bodenständige Handwerks-
kultur. Deshalb hat auch das moderne Kunstgewerbe strengge-
nommen nichts mit Volkskunst zu tun, weil es nicht mehr naives
Erbgut, sondern reflektiertes Zeitgut ist. Die Frage nach dem Ver-
bleib dieser künstlerischen Volkskräfte, die sich neben der wissen-
schaftlichen Würdigung der Volkskunst erhebt, wird gerade in unserer
Zeit, die um eine neue selbständige Formkultur ringt, immer wieder
gestellt. Sie hat auch dazu beigetragen, dies Vermächtnis des deut-
schen Volkes für die künstlerische Volkserziehung stärker heran-
zuziehen. Tatsächlich ist in der Volkskunst ein wertvolles Grundgut
einfacher Gestaltung erhalten, das durch seine eigen-artige technische
und formale Überlieferung über seine zeitliche Lebensdauer hinaus
Anregungen birgt. Die innige Verbindung von Werkstoff und Werk-
zeug, die das Muster niemals zum maschinellen Schema werden läßt,
sondern es immer wieder neu erlebt und bildet, die den Instinkt für
das Richtige wachhält, die einfache und doch starke Formsprache,
die naive Freiheit der Gestaltung, das sind elementare Werte, die,
auf dem Volksboden gewachsen, auch in den Volksbildungsprozeß
Hahm, Deutsche Volkskunst 5
Volkskunst und Heimatpflege
Die Geschichte der deutschen Volkskunst endet mit dem 19. Jahr-
hundert. Die technischen Fortschritte in Verkehr, Wirtschaft
und Handel hoben mit den großen Entfernungen auch die Abge-
schlossenheit der völkischen Bezirke auf. Die Industrialisierung der
Werktätigkeit ließ den Wettbewerb des Hausfleißes und Handwerkes
mit den Fabrikanten bald als aussichtslos erscheinen. Eigenart und
Eigenform, volkstümlicher Glaube und Formwille wurden von der
großen vereinheitlichenden Welle der modernen Weltwirtschaft auf-
gelöst, die Gegensätze von Stadt und Land ausgeglichen, in einigen
Jahrzehnten erlosch das gewaltige alte Volkshandwerk. Die wenigen
selbständigen Töpfer, die heute noch für kleine Landbezirke arbeiten,
sind weder wirtschaftlich noch künstlerisch lebensfähig; die Schnitzer,
Glasbläser, Weber und Spitzenarbeiter der Heimindustrie sind,
genossenschaftlich organisiert, vom Markt völlig abhängig, nur eine
letzte Nachhut volkstümlicher Kunstübung. Alle Wiederbelebungs-
versuche, die in romantischer Selbsttäuschung unternommen wurden,
mußten scheitern, weil die geistigen Voraussetzungen fehlten: die
ererbte alte Volksglaubenswelt und die bodenständige Handwerks-
kultur. Deshalb hat auch das moderne Kunstgewerbe strengge-
nommen nichts mit Volkskunst zu tun, weil es nicht mehr naives
Erbgut, sondern reflektiertes Zeitgut ist. Die Frage nach dem Ver-
bleib dieser künstlerischen Volkskräfte, die sich neben der wissen-
schaftlichen Würdigung der Volkskunst erhebt, wird gerade in unserer
Zeit, die um eine neue selbständige Formkultur ringt, immer wieder
gestellt. Sie hat auch dazu beigetragen, dies Vermächtnis des deut-
schen Volkes für die künstlerische Volkserziehung stärker heran-
zuziehen. Tatsächlich ist in der Volkskunst ein wertvolles Grundgut
einfacher Gestaltung erhalten, das durch seine eigen-artige technische
und formale Überlieferung über seine zeitliche Lebensdauer hinaus
Anregungen birgt. Die innige Verbindung von Werkstoff und Werk-
zeug, die das Muster niemals zum maschinellen Schema werden läßt,
sondern es immer wieder neu erlebt und bildet, die den Instinkt für
das Richtige wachhält, die einfache und doch starke Formsprache,
die naive Freiheit der Gestaltung, das sind elementare Werte, die,
auf dem Volksboden gewachsen, auch in den Volksbildungsprozeß
Hahm, Deutsche Volkskunst 5