Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EINLEITUNG

Die Erfahrung zeigt, daß die kunstgeschichtliche Forschung in Wahl und
Auffassung ihrer Stoffe mit künstlerischen Tagesfragen in Wechsel-
wirkung steht. Es ist nicht leicht auszumachen, wie weit Jakob Burckhardt
seine Liebe zur italienischen Renaissance den Architekten seiner Zeit ver-
dankte, und wie weit er selbst dem Schaffen dieser Künstler die Richtung
wies. Greifbar als kunstpolitisches Programm ist der Zusammenhang zwi-
schen der Gründung des Deutschen Reiches um 1870 und der Wieder-
belebung der nationalen Stile, insbesondere der deutschen Renaissance, die
zum künstlerischen Wahrzeichen des wiedererstandenen Reiches erhoben
wird und in Wilhelm Lübke ihren wissenschaftlichen Interpreten findet. In
der Wertung des Barock scheint eher die Kunstgeschichte die Führung zu
haben. Fast gleichzeitig bemühen sich Wölfflin, Gurlitt und Schmarsow, die
formale und seelische Struktur des Barockstils zu ergründen. Die entschei-
denden Werke erscheinen um 1890. Es geschieht somit nicht unvorbereitet,
wenn um 1900 das Reich auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung vom
Barock in seinen Monumentalbauten praktisch Gebrauch macht. Später, in den
Wirren des Krieges und der Nachkriegsjahre, verlangt der Expressionismus
nach neuen Ausdruckswerten und veranlaßt die Kunstgeschichte, sich in er-
höhtem Maße dem Studium der mittelalterlichen Jahrhunderte zuzuwenden.
In ähnlicher Weise nimmt die Geschichte der Gartenkunst Anteil an dem,
was die jeweilige Gegenwart an gärtnerischen Typenbildern fordert. Die
geläufige Vorstellung unterscheidet zwei Typen gärtnerischer Gestaltung.
Völlig unbestritten herrschte bis in das erste Drittel des 18. Jahrhunderts
der formale Garten, d. h. die regelmäßige, geometrische oder architekto-
nische Gestaltungsweise. Nach ihrer letztmöglichen Ausprägung durch Le
Nötre unter Ludwig XIV. wird sie kurz die französische genannt. Seitdem
herrschte ebenso ausschließlich der Landschaftsgarten, d. h. die natürliche
oder malerische Gestaltungsweise. Wir pflegen sie nach ihrem Ursprungs-
lande als die englische zu bezeichnen. Um die Wende des 19. zum 20. Jahr-
hundert ist aus den verschiedensten Gründen zwischen diesen beiden gärt-
nerischen Typen eine Umwertungskrise eingetreten. Nachdem jahrzehnte-
lang der englische Gartenstil als der überlegene gegolten hatte und wahl-

7
 
Annotationen