DER STIL
Eine in das Einzelne gehende Vergleichung mit den Figuren der Hildesheimer
Tür ist sehr aufschlußreich. Die Gewandung hat sich gegenständlich nicht nennens#
wert geändert, aber die Darstellung derselben ist durchaus verschieden. Während
man an der Hildesheimer Tür den in antiker Weise umgeschlagenen Mantel der
Männer überall in seiner Lage verfolgen kann, zerfällt er in Nowgorod in unregel#
mäßige und unbewegliche Teile, die keine logische Bekleidung bilden und nirgends
lockere oder gar flatternde Enden entsenden. Ebenso sieht man auch nirgends bei
den Frauen frei herabhängende Zipfel der Kopftücher, sondern diese umschließen
kappenartig fest Kopf und Hals. Man wagt nicht, aus der geschlossenen plastischen
Umgrenzungsfläche herauszugehen. Bezeichnend ist auch die unbewegte Parallel#
Stellung der Beine und die ebenso parallele Stellung der Füße, die nicht wie in
Hildesheim den dem Kontrapost entsprechenden Gegensatz von Profil und Vorder#
ansicht der Füße zeigt. Auch die Köpfe sind nicht in dem dort üblichen Halbprofil
gegeben, sondern fast durchweg in voller oder nahezu voller Vorderansicht, und
die Heiligenscheine, die sich in Hildesheim der räumlichen Stellung des Kopfes an#
passen, sind hier auf den Hintergrund geklebt.
Jede Verkürzung macht dem Künstler die größte Schwierigkeit, und dies beeinträch#
tigt auch die freie Bewegung der Gliedmaßen. Der Mangel an plastischen Gewandformen
wird ersetzt durch starke Linienzeichnung in der Angabe der Gewandfalten und der
ornamentalen Belebung der Flächen. Ein großer Teil davon ist sicherlich erst nach dem
Guß eingraviert worden, wobei nicht immer den plastischen Absichten nachgekommen,
sondern in willkürlicher Weise gestrichelt ist. Es ist schwer, diese Ziselierungen gegen#
über dem ursprünglichen Guß durchweg festzustellen, doch ist anzunehmen, daß
auch die Vollendung der Haare, der Flügel usw. erst einer solchen kalten Bear#
beitung zugeschrieben werden muß.
Die Tracht der Figuren weicht nur darin von Hildesheim ab, daß die Hängeärmel
der Frauen länger geworden sind und auch die Männer zuweilen weite Ärmel, wenn
auch nicht so weit wie die Frauen, tragen, daß ferner die übliche Drapierung mit
schwachen Überbleibseln der antiken Toga öfters einem auf den Schultern oder vor
der Brust geknüpften Mantel, auch bei den Aposteln, weicht. Die Männer sind meist
nur mit einem kurzen, die biblischen Personen auch mit einem langen, gegürteten Rock
bekleidet. In Hildesheim ist dieser in der Hüfte gestaut, zeigt aber nicht die scharfen
Linien eines Gürtels wie in Nowgorod, wo die Enden des Knotens meist straff
herunterfallen. Was in Hildesheim noch sanft modellierte Form war, ist in Now#
gorod scharf eingeschnitten. Besonders sichtbar ist dies an den Saumfalten des Rockes.
Die Engelflügel haben keine plastische Abstufung der Federn, sondern diese sind
nur durch mehr oder weniger reiche Eingravierung gekennzeichnet. Dergleichen
Unterschiede lassen sich durch alle Bestandteile verfolgen. Andrerseits scheint aber
auch einzelnes die alte Tradition noch zu wahren. Die Löwenköpfe sind unter denen
aller übrigen Türen denen der Hildesheimer am ähnlichsten mit der großen aus#
strahlenden Mähnen#Kreisfläche, die gleich über den Augen und den muschelartigen
Ohren ansetzt. Beim Kruzifix hat das Kreuz die Zweigansätze behalten. Die Kopf#
typen und Haare sind roher, aber nicht gar zu verschieden. Sie beruhen auf dem#
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Eine in das Einzelne gehende Vergleichung mit den Figuren der Hildesheimer
Tür ist sehr aufschlußreich. Die Gewandung hat sich gegenständlich nicht nennens#
wert geändert, aber die Darstellung derselben ist durchaus verschieden. Während
man an der Hildesheimer Tür den in antiker Weise umgeschlagenen Mantel der
Männer überall in seiner Lage verfolgen kann, zerfällt er in Nowgorod in unregel#
mäßige und unbewegliche Teile, die keine logische Bekleidung bilden und nirgends
lockere oder gar flatternde Enden entsenden. Ebenso sieht man auch nirgends bei
den Frauen frei herabhängende Zipfel der Kopftücher, sondern diese umschließen
kappenartig fest Kopf und Hals. Man wagt nicht, aus der geschlossenen plastischen
Umgrenzungsfläche herauszugehen. Bezeichnend ist auch die unbewegte Parallel#
Stellung der Beine und die ebenso parallele Stellung der Füße, die nicht wie in
Hildesheim den dem Kontrapost entsprechenden Gegensatz von Profil und Vorder#
ansicht der Füße zeigt. Auch die Köpfe sind nicht in dem dort üblichen Halbprofil
gegeben, sondern fast durchweg in voller oder nahezu voller Vorderansicht, und
die Heiligenscheine, die sich in Hildesheim der räumlichen Stellung des Kopfes an#
passen, sind hier auf den Hintergrund geklebt.
Jede Verkürzung macht dem Künstler die größte Schwierigkeit, und dies beeinträch#
tigt auch die freie Bewegung der Gliedmaßen. Der Mangel an plastischen Gewandformen
wird ersetzt durch starke Linienzeichnung in der Angabe der Gewandfalten und der
ornamentalen Belebung der Flächen. Ein großer Teil davon ist sicherlich erst nach dem
Guß eingraviert worden, wobei nicht immer den plastischen Absichten nachgekommen,
sondern in willkürlicher Weise gestrichelt ist. Es ist schwer, diese Ziselierungen gegen#
über dem ursprünglichen Guß durchweg festzustellen, doch ist anzunehmen, daß
auch die Vollendung der Haare, der Flügel usw. erst einer solchen kalten Bear#
beitung zugeschrieben werden muß.
Die Tracht der Figuren weicht nur darin von Hildesheim ab, daß die Hängeärmel
der Frauen länger geworden sind und auch die Männer zuweilen weite Ärmel, wenn
auch nicht so weit wie die Frauen, tragen, daß ferner die übliche Drapierung mit
schwachen Überbleibseln der antiken Toga öfters einem auf den Schultern oder vor
der Brust geknüpften Mantel, auch bei den Aposteln, weicht. Die Männer sind meist
nur mit einem kurzen, die biblischen Personen auch mit einem langen, gegürteten Rock
bekleidet. In Hildesheim ist dieser in der Hüfte gestaut, zeigt aber nicht die scharfen
Linien eines Gürtels wie in Nowgorod, wo die Enden des Knotens meist straff
herunterfallen. Was in Hildesheim noch sanft modellierte Form war, ist in Now#
gorod scharf eingeschnitten. Besonders sichtbar ist dies an den Saumfalten des Rockes.
Die Engelflügel haben keine plastische Abstufung der Federn, sondern diese sind
nur durch mehr oder weniger reiche Eingravierung gekennzeichnet. Dergleichen
Unterschiede lassen sich durch alle Bestandteile verfolgen. Andrerseits scheint aber
auch einzelnes die alte Tradition noch zu wahren. Die Löwenköpfe sind unter denen
aller übrigen Türen denen der Hildesheimer am ähnlichsten mit der großen aus#
strahlenden Mähnen#Kreisfläche, die gleich über den Augen und den muschelartigen
Ohren ansetzt. Beim Kruzifix hat das Kreuz die Zweigansätze behalten. Die Kopf#
typen und Haare sind roher, aber nicht gar zu verschieden. Sie beruhen auf dem#
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