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Hartlaub, Gustav Friedrich; Giorgione
Giorgiones Geheimnis: ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.19130#0011
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Für L. P.

I

„Seine Bilder sind wie Träume von einem anderen Dasein, voll hoher
Ahnung, als Gegenstand nur halb verständlich. Sie klingen wie alte Weis-
sagungen, die man nicht mehr versteht, wie Musik von einem andern Stern,
als wären in ihnen die verblichenen Erinnerungen des Menschengeschlechtes
zusammenhanglos zum Bewußtsein erwacht und riefen nach Erklärung. Sie
erwecken Ahnungen in der Brust des Einzelnen, die der Gesamtheit ge-
hören."

Mit diesen hellsichtigen Worten hat wahrlich Adolf B ayersdorfer1)
an das Geheimnis Giorgiones gerührt. Alles was wir in den folgenden Blät-
tern ausführen werden, handelt von demselben Geheimnis, wird in gewissem
Sinne eine Bestätigung für das sein, was Bayersdorfer ahnte. Nur daß wir
es nicht so sehr „poetisch" meinen, als vielmehr „eigentlich" und „wörtlich".

Die Stimmungswerte in Giorgiones Malerei — wie sie uns meister-
haft auch ein d'Annunzio, ein Walter Pater geschildert hat — bedürfen
keiner neuen Deutung durch das Wort und selbst der Dichter darf hier
schweigen, wo das Kunstwerk aus eigener Kraft fast wie ein Gedicht, ja wie
ein Gebilde musikalischer Wohlklänge all unserm Fühlen und Sinnen ent-
gegenkommt. Hier soll vielmehr von einem Geheimnis in recht eigentlichem
Sinn die Rede sein, einer verborgenen Tatsache, die dem Leben und Wirken
des Giorgione einen besonderen Sinn, die seinem Künstlertum zum wenig-
sten eine eigentümliche Färbung gegeben hat. Ist dieses Geheimnis freilich
einmal durchschaut, so wird auch auf jenes Stimmungshaft-Romantische ein
klärendes Licht fallen, das unklar Geahnte wird in einem überraschenden
Sinne gedeutet und bestätigt erscheinen.

Daß etwas in der berühmten „Poesie" Giorgionescher Landschaften und
Bildnisse nach besonderer Auslegung verlangte, daß ein bestimmter Anlaß
gewesen sein muß, der die italienische Kunst durch diesen großen Anreger2)
ganz neue fremdartig schöne Bildgedanken finden ließ — Vorstellungen, die
seither noch ganze Generationen von Schülern und Nachahmern bezaubert

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