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Hartlaub, Gustav Friedrich; Giorgione
Giorgiones Geheimnis: ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.19130#0072
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V.

Wer war es, für den Giorgione seine Träume erzählte und
malte und wo er „Deutung" und Verständnis suchen durfte?
Immer wieder führt uns die Absicht, in die Hintergründe von
Giorgiones Innenwelt einzudringen, zugleich auch hinaus in
seine psychische Umwelt: eine geschlossene, vielleicht bis zu einem gewissen
Grade „geheime" Geistesgemeinschaft Gleichgesinnter, Mittelstufe zwischen
den sog. chymischen Gesellschaften und den wissenschaftlich-künstlerisdien
Akademien mit ihrem kultischen und geselligen Einschlag. An solche Ge-
meinschaft mag er sich ähnlich wie Dürer in seiner „Melandiolie" mit seinen
dem Außenstehenden sdiwer verständlichen Offenbarungen zunächst ge-
wandt haben, und es ist im Venedig der Hochrenaissance selbstverständ-
lich, daß diese Gemeinschaft zugleich einen Bund wahrhaft kunstverstän-
diger Menschen darstellte. Es liegt nahe, zu untersuchen, ob die berühm-
ten Bildnisse, die Giorgione zugeschrieben weiden, diese unsere grund-
legende Vermutung unterstützen. Ein bloße psychologische Ausdeutung
der einzelnen Persönlichkeiten würde da freilich in das Reich des Unbe-
weisbaren führen, aber es finden sich Merkmale viel greifbarerer Art, die
uns unmittelbar und höchst überraschend wieder in unsern Zusammenhang
hineinführen. Dem Kenner des Giorgioneschen Gesamtwerkes ist bekannt,
daß einige Porträts des engsten Giorgionekreises am untern Rande gewisse
Zeichen tragen, die bisher niemals befriedigend gedeutet worden sind.
Leider sind diese Zeichen in den meisten Fällen übermalt und im Sinne
einer willkürlichen Auslegung ergänzt. So stehen wir audi hier auf unsicherem
Boden und können bestenfalls nur wahrscheinlich machen, in welcher Rich-
tung die Auflösung der ursprünglichen Zeichen gesucht werden müßte.

Im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum trägt das berühmte kleine
Bildnis eines jungen Mannes an der (ob mit Absicht einmal gestuften?)
Brüstung das Zeichen V V. Da dieses Porträt bis jetzt von allen Kennern -
mit Ausnahme Wickhoffs — als Giorgione bezeichnet worden ist und da
auch die genannte Signatur in ihrer Editheit unbezweifelt blieb, bietet das
Faktum für uns einen brauchbaren Ausgangspunkt. Auf dem Brustbild

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