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Hartlaub, Gustav Friedrich; Giorgione
Giorgiones Geheimnis: ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.19130#0080
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10) L. Justi, Giorgione Berlin, 1908, 2 Bände. Trotz des durchaus impressionistischen
Charakters und einer manchmal etwas reidilidi „berlinischen" Nüchternheit bewahrt dieses
Buch einen intuitiven Gesamtblick für die Totalität des Lebenswerks Giorgiones, — was
wir in der atomisierenden Stilkritik vieler Anderer, vor allem auch L.Venturis, vermissen. —
Die gesamte übrige Literatur in Thieme-Bediers Künstlerlexikon Band XIV (Artikel von
Gronau). Gerade gegenüber einer Natur wie der des Giorgione muß eine lediglidi auf for-
malen Merkzeichen im Sinne der - im Grunde unpsychologischen, mechanisierenden -
Morellischen Methode beruhende Stilkritik zuletzt versagen. Es ist sdion auf Grund des
Braunschweiger Selbstporträts anzunehmen, daß G. als Mensda wie als Künstler einem
starken Wechsel der „Stimmungen" und der schöpferischen Potenz unterworfen war, daß
Hochspannungen der Eingebung und des „Könnens" Ermattungen und Schwächen folgten,
- Zustände, in denen ihm das Vollenden, das „Fertigmadien" einer Arbeit zur Last wurde.
Sogar ein willkürlidies Wechseln der „Manier" ist nicht ausgeschlossen. Was würde eine
spätere Stilkritik etwa von dem Oeuvre eines E in i 1 N o 1 d e als eigenhändig übrig lassen,
wenn der reine Qualitätsgesichtspunkt die Auswahl bestimmte, was von den Arbeiten des
vielgewandten Max Pechstein, wenn jeweils nur eine feststehende Formgebung und Mal-
weise maßgebend sein soll. Oder man denke an fluktuierende, proteisdie Naturen wie
Picasso, Ardiipenko mit ihrem formalen Experimentieren, ihrem Nebeneinander ver-
schiedener Formweisen im selben Zeitabsdinitt! Man wende nidit ein, es sei unstatthaft,
„modernste" Zeitgenossen mit Meistern der Hochrenaissance zu vergleidien. So sehr sich
die Daseinsverhältnisse, die Stellung und Aufgabe des Künstlers gewandelt haben mögen,
es gibt etwas Zeitlos-Konstitutionelles in der Wesensart des Künstlers überhaupt, was
uns gewisse Schlüsse von Heute auf Ehemals erlaubt. Zeitlos sdieinen auch gewisse gegen-
sätzliche Typen von Künstlertum zu sein. Audi heute kennen wir Meister, deren
Gesamtwerk bei kontinuierlicher logisdier Entwicklung in der foT-malen und technischen
Qualität fast durchweg dasselbe hohe Niveau zeigt (ein Leibi etwa). Andere zeigen bei
beständigem Suchen und überraschenden Wandlungen ein sehr ungleiches Können und
sie bringen nicht selten Dinge hervor, die ihrer fast „unwürdig" erscheinen (Hodler). Sind
die ersteren mehr „Meister" im zünftigen Sinne, so verköipern die anderen mehr den mo-
dernen (romantisch-sentimentalen) „Genie"typus. Zweifellos gehörte der „Saturnier" Gior-
gione diesem letzteren an. Wieweit die von Kretzschmar („Körperbau und Charakter")
aufgestellten Typengegensätze — etwa des pyknischen Cyclothymen und des asthenischen
Schizothymen — unserer Gegenüberstellung entsprechen, bedürfte einer besonderen Unter-
suchung.

u) Was beriditet uns Virgil? Äneas ist auf des Stromgottes Tiber Geheiß zum ausge-
wandert enArkadierkönigEvander geschifft und inPallanteum gelandet, einem ärmlichen
Städtchen, wo künftig Rom erbaut werden sollte. Im Hain vor der Stadt feierte gerade

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