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Hartlaub, Gustav Friedrich
Alchemisten und Rosenkreuzer: Sittenbilder von Petrarca bis Balzac, von Breughel bis Kubin — Willsbach, Heidelberg, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.19128#0009
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/. „KÖNIGLICHE KUNST"

Goethe bemerkt einmal, daß das „problematisch Wahre, von
dem wir in der Theorie allen Respekt haben, sich in der Aus-
übung mit der Lüge auf das allerbequemste begatten kann".
Gerade er konnte dabei unter anderem auch an die A1 c h e m i e
denken, an deren hermetisch verschlossenen Mysterien er als
junger Mensch sich selber versucht hatte und deren poetischer
Wahn seine Einbildungskraft und seinen Forschergeist auch
später immer wieder beschäftigt hat. Dabei stand zu Goethes
Zeiten noch keineswegs fest, daß die „chymische" Naturphilo-
sophie mit ihrem Glauben an die Verwandelbarkeit der Elemente
einmal recht behalten würde. Wohl aber fühlte der Dichter den
tiefen Kern in den Träumen der Adepten, wenn sie überall auf
das Geheimnis der Wandlung, Läuterung, auf das „Stirb und
werde", hindrängten. Freilich übertrugen sie diese Wahrheit
aus dem Bereich der Innerlichkeit des Menschen, wo sie gilt,
naiv auf die äußere Natur, ja sogar auf deren toten, anorgani-
schen Teil, indem sie behaupteten, die Mineralien, die Metalle
seien beständig in einem langsam wachsenden Übergang von
niederen Daseinsformen zu höheren begriffen und der Mensch
könne diesen Erlösungsweg vom Blei zum Golde beschleunigen

— zu seinem eigenen Vorteil. Damit mußten die Goldmacher
nun freilich nicht nur ins Unwirklich-Phantastische geraten,
sondern auch in eine große sittliche Gefahr.

Die Jünger der „ars magna", ,,ars regia" wähnten, man könne
aus der Natur das Prinzip, welches jene langsame Entwicklung
von niederen zu höheren Zuständen bewirkt, gewissermaßen
herausdestillieren. Sie nannten es den „Stein der Weisen", ein
halb materielles, halb geistiges Agens, das, einmal in reinem
Zustande gewonnen, nur auf die niederen Metalle (insbesondere
das Blei und das Quecksilber) projiziert zu werden braucht, um
sogleich die Transmutation zum Stande des Silbers und Goldes
zu bewirken. Solchermaßen gewonnenes alchimistisches Gold

— reiner als das natürliche — braucht dann nur seinerseits
projiziert zu werden, um eine entsprechend größere Masse zu
veredeln und so weiter in infinitum. Hauptgeschäft der Adepten,
das heißt derjenigen, die die höchste Stufe des Könnens „er-

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