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Hartlaub, Gustav Friedrich; Gogh, Vincent van [Ill.]
Vincent van Gogh: Rohrfederzeichnungen — Hamburg, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.17238#0026
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schliffenen, „holzgeschnitjten" Art, seiner grobflächigen Körper-
lichkeit das Stigma der Wahrheit, der Echtheit, des Glaubens.
Die ganze Bauernmalerei und Bauerngraphik der neuholländi-
schen Schule erscheint demgegenüber salonhaft und geleckt.
Sogar dem von ihm so bewunderten Meister von Barbizon, dem
Klassiker der Bauernmalerei, Millet, der ja vor allem ein herr-
licher Zeichner gewesen ist, hat Vincent noch einen neuen, zeit-
gemäßen Akzent hinzuzufügen gewußt: ein dämonisches, ein
cBthonisches Wesen, zugleich aber auch jenen Ausdruck des Prole-
tarischen, welcher sich eben mit einer ungefügen Hand be-
schwören ließ: der frommen Laienhand -eines Menschen, der sich
bei all seiner vielbelesenen Bildung und Geisteskultur doch nur
langsam vom Bauern, Arbeiter, Seelsorger der Armen zum
Künstlerberuf durchzuringen vermochte.

Vincent van Gogh mit seinen Zeichnungen würde in der neueren
Kunstgeschichte seiner Heimat seinen Platj haben, auch wenn der
ungeheuerliche Ausbruch am Ende seines kurzen Lebens niemals
stattgefunden hätte und wenn er in* Holland gestorben wäre.
Kein Wunder, daß seine kritischen Berater zu Hause, daß der ge-
fürchtete Kunsthändler Tersteeg, Nachfolger von Vincents Onkel
an der Goupil-Filiale im Haag, daß der berühmte Maler Anton
Mauve, ein Verwandter Vincents, daß alle solche Verwalter
und Vertreter der allzu gepflegt-bürgerlichen Kunstüberlieferung
Hollands die Stirn runzelten, wenn ihnen dieser verlorene Sohn
aus angesehener Familie, dieser immer wieder — als Kunst-
händler, Lehrer, Theologiestudent, Armenprediger und Armen-
pfleger — Gescheiterte, nun plötjlich zum Künstlerberuf Hin-
drängende seine Studienversuche zur Begutachtung, ja womöglich
zum Ankauf vorlegte! Die „Fehler" schienen ja auf der Hand zu
liegen, diese Ungeschicklichkeit, die immer noch mit den An-
fängen im Kampfe lag. Daß solche Arbeiten in ihrer angeblichen
Talentlosigkeit — wenn man denn wirklich Talent mit Geschick-

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