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Universität Heidelberg [Hrsg.]
Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Winter-Halbjahr 1897/98 — Heidelberg, 1897-1898

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Nr. 14 (6. Februar 1898)
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1897/98

Heidelberger Akademisciie Mitteilungen

Nr. 14

schaft, wie der Verstorbene selbst und im Hinblick auf
das zarte Kind, das nun dem Leben der tief gebeugten
Mutter den hohen Inhalt geben wird.

Woldemar von Sehroeder wurde den 6. September 1850
zu Dorpat geboren. Sein Vater entstammte einer aus Nord-
deutschland eingewanderten Gelehrtenfamilie und war Direktor
des Dorpater Gymnasiums, in dem der Sohn seine Erziehung
erhielt. Von der Mutter, einer geborenen v. Schrenck, deren
Gesichtszüge sich in dem Knaben fast wiederholten, hatte
Schroeder frühzeitig eine starke Neigung zur Litteratur und
für die Dichtkunst envorben; als er 1868 die heimische
Universität bezog, entschied er sich jedoch, wie drei seiner
Brüder, fiir das Studium der Natunvissenschaften. Es mag
darin ein Einfluss des durch seine sibirischen Keisen und
Forschungen berühmten Petersburger Akademikers v.Schrenck,
eines Bruders der Mutter, zu erkennen sein. Chemie und
Physik, damals durch den sprühend lebhaften Karl Schmidt
und durch Arthur von Oettingen vorzüglich vertreten, fessel-
ten Schroeder hesonders und unter Lembergs Leitung bildete
er sich zu dem sicheren Analytiker aus, als welcher er sich
sein ganzes Leben bewäbrt hat. Nachdem ihn ein Kopf- und
Augenleiden längere Zeit fast zum Aufgeben des Studiums ge-
zwungen hatte, nahm er es erst spät wieder auf und haupt-
sächlich auf Anregung Bunge’s, mit dem er befreundet war,
von jetzt an mit der biologischen llichtung, der er treu ge-
blieben ist und seine Erfolge verdanken sollte.

Als Magister der Chemie verliess er 1878 Dorpat, um
sicli der bewährten Physiologen-Schule Karl Ludwig’s in
Leipzig anzuschliessen. in jeder Beziehung zu seinem Glück.
An Rückkehr in die Heimat war für ilm mit jedem Jahre
weniger zu denken. Sah er docli die nordische Stätte der
Wissenschaft, jene Schöpfung Gustav Adolfs nach mehr-
hundertjährigem segensreichen, oft höchst ruhmvollen Wirken
nach und nach systematisch dem Verfalle zugeführt und
schliesslich jenem vollendeten Kulturmorde erliegen, den wir
Alle mit unwilligem Staunen erleben mussten. Wer dort
noch leistungsfähig war, floh schliesslich Ort und Land und
pries die Genossen glücklich, die der Agonie des wichtigen
Vorpostens Deutscher Bildung und Gesittung zeitig entgangen
waren. Schroeder war unter diesen und wurde damit der
Unsere.

In Leipzig von Ludwig’s fast dämonisch origineller Per-
sönlichkeit ausserordentlich angezogen, sah er zum ersten
Male das vollendete physiologische Experiment. Die feinen
messenden und graphischen Methoden bei der Untersuchung
der Lebensvorgänge wurden ihm dort ebenso vertraut, wie
das von Ludwig für die Zwecke der Physiologie bis zur
grössten Vollendung ausgebildete Verfahren der Gasanalyse.
In diesem Laboratorium, mit einem Leben ohne Gleichen,
wo Ludwig von früh bis spät im Grunde Alles selbst aus-
führte, während die Schüler vorwiegend als Assistenten
helfend lernten, war Schroeder einer der Wenigen, die mit
einiger Unabhängigkeit ihre Untersuchungen durchfiihrten.
Als guter Chemiker war er dazu schon befähigt und als ge-
schickter physiologischer Experimentator bewährte er sich
bald. Es gelang ihm, eine bis dahin für unmöglich ge-
haltene Operation, die zur Entscheidung einer höchst wich-
tigen Frage über die Funktion der Vogelniere notwendig ge-
worden war, mit Erfolg auszuführen und die Schlüsse, die
man zuvor aus unvollkommenen und unzweckmässigen Experi-
menten gezogen hatte, in das Gegenteil zu wenden. Von
diesem Augenblicke an war Schroeder’s Kuf begründet; er
hätte schon damals einem Lehrstuhle der physiologischen
Chemie Ehre gemacht. Elf Jahre oft peinlicher Erwartung
sollten jedoch noch vergehen, bis er das Ziel des akademi-
schen Berufs erreichte.

So übernahm er 1879 eine Assistentenstelle bei Schmiede-
berg in Strassburg. Dort führte er seine Untersuchungen
über die Bildungsstätten der wichtigsten Endprodukte des
thierischen Stoffwechsels mit noch grösserem Erfolge weiter.

Sie schlossen mit einer Entdeckung ab, um die ihn, — man
hat es mit Kecht gesagt — jeder Biologe beneiden konnte.
Nicht allein war es Schroeder gelungen, in der grössten
Drüse des Körpers wiederum den wichtigsten Eckstein der
chemischen Vorgänge des Lebens zu erkennen. sondern er
zeigte auch, wie das wesentlichste Produkt des Stoffwechsels,
das aus dem Körper notwendig entfernt werden muss, sicli
in der Leber bilde. Es ist die berühmte Entdeckung der
syn thetischen Entstehung jener Substanz, die sich in
dem Organ ganz ähnlich der Synthese des Chemikers in
seinen Apparaten vollzielit. Hypothetisch war der Prozess
aus Analogieen schon abgeleitet, sein Vorkommen im Tier-
körper für andere Fälle aucb schon festgestellt, aber die
aus dem Ivörper entfernte Leber unter subtiler Erhaltung
eines Ueberlebens-Zustandes, so einfach mit den Komponenten
des erwarteten Stoffs zu f'üllen und sie gleichsam als Apparat
f'ür die Reaktion zu benutzen, war Schroeder vorbehalten ge-
blieben. An dieser Entdeckung hatten Zufall oder sogenanntes
Glüclc so wenig Anteil wie an irgend einem grossen Erwerbe
unserer Wissenschaft. Logische Verknüpfung vorhandener
Erfahrungen zu einem richtigen Versuchsplane, der Mut,
seine Ausführung mit Hilfe sinnig erfundener, gewissenhaft
immer wieder versuchter Methoden zu wagen, haben den
schönen Erfolg errungen.

Würdig reiht sich diese Entdeckung ihren Vorgängern
in dem Nachweise der Gemeinsamkeit alles Lebendigen an.
Die Synthese, einstmals ausschliesslich dem Pflanzenreiche
zugesprochen, war wiederum als ein Teil auch des animalen
Chemismus erkannt und wie kiar und durcbsichtig in diesem
Falle. in dem es keinen mystischen Rest mehr giebt!

Schroeder verdankte diesen Abschluss zum grossen Teile
seiner analytischen Kunst. Die von ihm bei dieser Gelegen-
heit erfundenen analytischen Methoden, die ihn auch zur
Isolierung des Harnstoffs, auf die es ankam, im chemisch
reinen Zustande führten, enthielten einen bedeutenden Fort-
schritt. Die naturwissenschaftliche Fakultät in Tübingen
erteilte ihm 1882 auf Grund dieser Arbeit den Doktorgrad.
In demselben Jabre wurde er von der medizinischen Fakultät
in Strassburg ebenfalls zum Doktor promoviert; bei ihr ha-
bilitierte er sich 1883 als Privatdozent.

Mit der Habilitationsschrift über Opium-Alkaloide betrat
Schroeder ein neues, obschon dem seinigen nahe verwandtes
Gebiet, die Pharmakologie. Wir haben diese Wissenschat't
fast als ein Erbstiick aus der Blvitezeit der heute Jurjew
genannten Trümmer, empfangen ; denn die jetzige Heilmittel-
lehre hat ihren Anfang in den Arbeiten Buchheim’s und
seiner zahlreichen Schüler in Dorpat genommen. Die her-
vorragendsten unter diesen sind zu u n s gekommen, in
unsern physiologischen Instituten zunächst Physiologen oder
Biochemiker geworden und haben, im Gegensatze zur älteren
empirischen Therapie, die Heilmittellehre in eine fast neu
scheinende, systematisch theoretische Wissenschaft verwandelt.
Besonders durch Schmiedeberg ist die Pharmakologie zur Lehre
von den durch chemische Wirkungen beeinflussten Lebens-
vorgängen geworden. Seiner überaus produktiven und ge-
sicherten Schule gehörte Scliroeder an.

Seit den Tagen, da der geniale Blick und das scharf-
sinnige experimentelle Vorgehen Claude Bernard’s in den
Giften zuerst die eigentlichen chemischen Reagentien auf
Lebensvorgänge erkannt hatte, zieht sich eine Kette toxiko-
logischer Arbeiten durch die Physiologie, die schon die
Grundsteine der jetzigen Pharmakologie enthielten. Schroeders
Arbeiten auf diesem Gebiete, das fortan der Gegenstand
seines akademischen Berufes werden sollte, haben sofort zu-
gleich die Richtung auf den praktisch therapeutischen Zweck
genommen. Sie können Zweiflern aus der älteren empirisch
therapeutischen Schule als ausgezeichnete Erfolge auch in
ihrem Sinne entgegengehalten werden. Uns schien es immer,
als ob unserem Freunde, der an sich selbst leider zu viel
Gelegenheit zur Dankbarkeit gegen Heilmittel fand, der Ge-
 
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