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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 2 - Nr. 9 (6. Januar - 30. Januar)
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Er hielt das Wirtſchaftsluch in ſeinen Händen und
ſtarrte auf die zierliche Schrift, die ſaubern Zahlen.

Da ſtand es ja klar und deutlich — die Äusgabe be-

trug bei weitem nicht ſeviel wie dit Einnahme; doch
rirgends ein Vermerk, wo die Ueberſchüſſe geblieben
ſeien. „Ich glaube gar, ſie legt ſie auf zinstragende

Papiere an, um für die Zukunft geſichert zu ſein nicht

in eine Lage zu gerathen, wie damals ihre Mutter!
Aber was haben wir denn da?“
Ein Papier in Briefform lag zwiſchen den Blät-
tern. Es war ohne Adreſſe, ebenſo fehite Ueber⸗ und
Unterſchrift. Die Handſchrift ſichtlich eine männliche
und verſtellte, erſchien ihm bekannt, ohne daß er im
erſten Augenblick wußte, von wem ſie herrühre. Der
Inhalt der wenigen Zeilen ließ ihn noch mehr ſtutzen.
„Jemand, der verpflichtet iſt, Ihr Martyrium we-
nigſtens in einer Weiſe zu mildern, bittet Sie, die
beikommende Kleinigkeit gleich den frühern Sendungen
freundlich aufzunehmen. Wollte Gott, ich könnte wirk-
lich etwas thun, Ihnen eine Ihrer würdigere Lage zu
ſchaffen, jedes Leid von Ihnen abwenden! Ich kann
es nicht, wenigſtens jetzt noch nicht! Darf nicht ein-
mal, ſchon um nicht Mißdeutungen zu veranlaſſen,
wenn das Blatt durch Zuſall in unberufene Hände
fallen ſollte, meinen Namen unter dieſe Worte ſetzen.
Um ſo inniger iſt der Segenswunſch, den ich jetzt, wie
immer, für ſie zum Himmel ſende!“ ö
Regungslos ſtarrte er auf das Papier, bis die Buch-
ſtaben in einander zu verſchwimmen ſchienen. Dann
lachte er bitter auf und ſchlug ſich heftig vor die Stirn.
„Verſtellt, obwohl nicht bis zur Unkenntlichkeit! Wie
mochte ich nur einen Augenblick zweifeln — an dieſer
Handſchrift zweifeln! — Und die Tugendheldin, die
mir über mein Leben Vorhaltungen machte! Er lachte
krampfhaft und zerknitterte das Papier. Dabei kam
ihm ein neuer Gedanke. „Wenn es ein altes Schrei-
ben wäre — von damals?“ Haſtig ſtrich er das Blatt
wieder glatt.
triſch, das Papier nicht vergilbt —“ Wie vernichtet
ſank er auf einen Stuhl, raffte ſich jedoch bald wieder
auf, verſchloß das Heft und legte die Schlüſſel in die
Körbchen.
ten eiferſüchtig — Uleſen würde mich recht auslachen.
Jetzt habe ich ſie ja — mag ſie es wagen, mir noch
einmal zu widerſtreben.
ſich ſonſt gewiß nicht gutwillig gefügt. Es ſind das
nur noch — deutſche Vorurtheile! Aber ich will mich
von ihnen emancipiren.“ ö
Er ging in das anſtußende Zimmer, das ſeinige,
ſchenkte von dem auf dem Tiſche ſtehenden Rum ein
Glas voll- und ſtürzte es haſtig hinunter.

II

„Ich habe es doch mit hineingelegt!“ Helene ſagte

es zu ſich ſelber, während ſie in wachſender Unruhe

das Heft durchblätterte, die Papiere im Fach durch-
Gleich nachdem ihr Gatte das Zimmer ver-

ſuchte.
laſſen, war ſie eingetreten.

„Bemühe Dich nicht unnütz!“ Er öffnete die Thür.

gung.

„Kein Datum, allein die Tinte iſt noch

„Thor, der ich bin — auf einen Entfern-

In Betreff Hilda's hätte ſie

„Der Commodenſchlüſſel ſchließt das Fach — ſo er-
laubte ich mir —“
„Meinen Schreibtiſch mit Nachſchlüſſeln zu öffnen,
meine Papicre zu durchſtöbern?“ flammte ſie auf.
Schämſt Du Dich nicht —“
„Wie Du Dich ereiferſt! Ein geſchicktes, und doch
fruchtloſes Manöver, die Schuld auf mich zu wälzen.
Ich ſoll mich ſchämen, ich? Was müßteſt denn Du

thun, Du — —

Seine Erregung erſtickte ihn faſt, machte ihn un-
fähig, weiter zu reden. Vielleicht auch ſtockte er vor
dem großen feſten Blick, den ſie auf ihn heftete. Es
hatte faſt den Anſchein, ſie zweifle an ſeiner Zurech-
nungsfähigkeit und ſei mit ſich nicht einig, ob ſie zür-
nen oder geringſchätzig die Achſeln zucken ſolle.
„Was Du ſuchſt — dies liebenswürdige Schreiben
iſt in meinen Händen!“ ſtieß er abgebrochen hervor.
In ihren Zügen zuckte es wie Schreck und Erre-
Allein ſie zwang ſich zur Ruhe und mit jeder
ISeende ward ihr Blick kälter, ihr Antlitz regungs-
oſer. ö ö ö
Du mit Deinem zwar kühlen, doch ſcheinbar ſo
offenen und ſtolzen Weſen — wie konnteſt Du dahin
gelangen — ſo weit ſinken?“
Ihre Brauen zogen ſich leicht zuſammen und der
Kopf richtete ſich nech höher auf. Wie ungeduldig
hob ſie die Achſeln bei ſeinen letzten Worten und die
Lippen öffneten ſich zu einem verächtlichen Lächeln,
Eine Antwort dünkte ſie offenbar unter ihrer Würde
— ſie ſchwieg. ö .
„Mich ſo zu hintergehen — Helene!“ Sein Ton
wurde weich und vorwurfsvoll. Er irat dicht zu ihr
eran.
Sie wich mit der Geberde des Widerwillens zurück,
„Komm mir nicht nahe! —“ ö
„Und wenu ich getrunken habe, wer trägt die
Schuld?“ fuhr er heftig auf.
Sie zuckte wieder die Achſeln. „Ich etwa?“
„Wer denn anders? Wie ein Bleigewicht hängſt
Du an mir, ziehſt mich immer wieder nieder, wenn ich
mich aufſchwingen könnte. Und nun auch noch das!
Uleſen wird ſich wundern, wenn er dieſen ſo gefühl-
vollen und gottſeligen Brief lieſt.“
Zuerſt hatte ſie bitter gelächelt, hatten die hell-
blauen Augen wahrhaft eiſig drein geſchaut. Jetzt kam
Bewegnng in das ſtarre Geſicht; doch nur die faſt
krampfhafte Bewegung der Angſt. „Ellſtädt, Du wirſt
doch nicht — So iſt Uleſen alſo wirklich — ö
„Mein Gewiſſensrath und Beichtvater, wie Deins
vorlaute Schweſter neulich bemerkte.“
Sie mußte ſich ſetzen. Wohl empörte ſich ihr Stolz,
ſie unterdrückte ihn jedoch. „Ich bitte Dich, Harald,
gieb mir das Papier zurück. Nur dieſe einzige Bitte
ſein.“ mir und Manches ſoll vergeſſen, ausgeglichen
ein.“ 111
Wuth und Hohn rangen in ihm um die Oberhand.

„Wie demüthig Du ſein kannſt und ſonſt wie ſtolz und
hochfahrend!“ ö

Die Hände vor das Geſicht ſchlagend murmelte fig
 
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