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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 2 - Nr. 9 (6. Januar - 30. Januar)
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rg.

*
ö 1*
Nr. 6. Mittwoch, den 20. Januar 18690:.. 2. Jah

Seſcheint Mittwoch und Sanſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der
— —— und ber den Trägern Auswöntt bei den Landboten und Poſtanſtalten.

7
* —

Druckerei, Untereſtr. 9

Möwenpriis.

Eine ſchleswig'ſche Geſchichte von Maria v. Ros kows a.

(Fortſ⸗ czung.)

Augenſcheinlich beſchäftigten ihn Betrachtungen mehr
noch als Betrachtung, und zwar ernſte ſchmerzliche Be-
trachtungen, wie ſein Antlitz verrieth. Er mußte hier
nicht fremd, und doch ein Fremder ſein. Obwohl ſie

zurückgezogen lebten, fällt eine Perſönlichkeit wie dieſe
doch in einem Ort von wenig mehr als zehntauſend
kennt man die meiſten Leute

Einwohnern bald auf,
von Anſehen. ö
Die Arme übereinander gekreuzt,
Hand, als ſei ihm zu warm geworden, blickte er bald
nach Buſtorf hinüber, bald auf den Möwenberg hinab.
Der ſtarke dunkelbraune Vollbart verhüllte den untern
Theil des tiefgebräunten Geſichts; er ſpielte wie das
Haupthaar ſchon etwas in's Graue. Die ſcharf ge-
ſchnittene Naſe, die großen grauen Augen und nament-

Figur hatte trotz ihrer Stattlichkeit in der Schnell-
kraft ihrer Bewegungen etwas Jugendliches, das mit
dem ergrauenden Haar ſeltſam contraſtirte. Es zeigte
ſich in der Lebhaftigkeit, mit welcher er ſich jetzt um-
wandte. Einen ſo ſcharfen prüfenden Blick, wie es
die gute Lebensart irgend geſtattet, heftete er auf
Hilda's Geſicht, grüßte nach augenblicklichem Zögern
artig und warf eine Bemerkung über die Landſchaft
hin. Der Klang ſeiner Stimme ſprach ſie eigenthüm-
lich an, ſie wußte nicht, ob bekanut oder ſympathiſch,

aber ſie antwortete angeregt. Einige Worte über die

liebliche Lage Schleswigs wurden gewechſelt.

blickte auf die Inſel hinab.

ſäumen,“ rieth ſie. „Es iſt für unſere Stadt,
der Jahrmarkt zu Brarup für Angeln “
„Ich weiß, kenne es von früher her.“
hätte er mehr ſagen können, brach jedoch ab.
„Ich ſah es Ihnen ſogleich an, daß Sie hier
fremd ſind.“ *

ſteiniſche-
Die ra

in Worten ſchienen ihn zu gereuen; wieder

den Hut in der

lich die breite, vorſpringende, nur leicht gefurchte Stirn
verriethen ſowohl Charakter wie Begabung; die hohe

„Möwenpriis!“ ſagte er, wie zu ſich ſelber und
„Als Fremder ſollten Sie das Volksfeſt nicht ver-
was
Sichtlich
„War öfter hier, zuerſt ſchon 1644, zu dem großen

Sängerfeſt, bei dem zum erſten Mal die ſchleswig⸗hol-
Fahne wehte. Dann vier Jahre darauf —“

brach er ab und blickte ſie prüfend an.

Schleswig vollends verödet.

der geſehen haben!“

Anſcheinend
bemerkte ſie Beides nicht. ö
„In Wahrheit die ſchönſte Gelegenheit, um unſere
alte Stadt kennen zu lernen, lieb zu gewinnen. — Und
nun lange nicht?“ —————
„Sehr lange nicht!“ Die kurze Art ſeiner Ant-
worten konnte für abweiſend gelten. ö
Sie faßte es ſo auf, erröthete über ihre Indis-
cretion und wollte ſich nach leichter Verneigung ab⸗—
wenden. 8*
Er knüpfte das Geſpräch wieder an und ſagte nun
ſeinerſeits: „Sollte ich nicht bereits das Vergnügen
gehabt haben, Sie irgendwo zu treffen, mein Fräulein?

Aber nein, Sie ſind viel zu jung. Dennoch erſchienen

Sie mir gleich beim erſten Blick ſo merkwürdig be-
kannt. Es iſt, als ſei mir Ihr Namen nur entfallen.“
Sein Blick enthielt die Aufforderung ihn zu nennen.
Eine brennende Röthe flammte in ihrem Geſicht
auf. „Da Sie Schleswig früher gekannt haben, müſſen
Sie es jetzt ſehr verändert ſinden. Ich erinnere mich
der einſtigen beſſern Zeiten freilich nicht mehr, aber
meine — Verwandten ſind voll ihres Lobes, empfin-
den es mit tiefem Schmerz, daß es nun ſo anders iſt.
Das haben Ihnen gewiß alle Bekannten geſagt.—n
„Ich kam mit dem letzten Zuge erſt an und ſprach
noch Niemand, werde überhanpt nicht viele Bekannte
mehr finden.“ Sein Blick verdüſterte ſich.
Sie ſchaute bedeutſam zu ihm auf. „Es haben frei-
lich damals, ich meine nach der Schlacht bei Idſtedt,
viele wohlhabende Familien, viele auf immer, die
Stadt verlaſſen; hieß es doch, ſie ſollte angezündet
werden. Seitdem die Behörden verlegt wurden, iſt
Von zwanzig Advokaten
blieben nur drei. Freilich —“ * ö
„Wir kennen einander alſo doch wirklich?“ fragte
er raſch. „Und ich komme nicht auf Ihren Namen!“
Wieder gerieth ſie in Verlegenheit. „Nein, ich ver-
muthe nur, daß Sie Schleswig ſeit damals nicht wie-

„Und warum Das 7)):
„Weil auch mir iſt, als müßte ich Sie ſchon ge-
ſehen haben. Und wäre ich damals nicht noch ein
Kind geweſen, ſo würde ich mich Ihrer deutlicher er-
innnern - —————
Es zeg wie eine Wolke über ſeine Stirn und die
raſche Bewegung ſeiner Züge verrieth faſt Erſchrecken.
„Ich glaube gar, Sie halten mich für einen Schleswie-
Holſteiner oder vielmehr, da man ſo ja nicht mehr
 
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