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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 10 - Nr. 11 (3. Februar - 6. Februar)
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14.

Nr. 10.

Mittwoch, den 3. Februar 1869.

— ö — —.—— 3 in Nummer à 2kr. Man abonnirt
d Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr.
Erſcheint Mittwoch und Sa ſiadp Pwin Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

in der Druckerei, Untereſtr.

4— Möwenpriis.
Eine ſchleswig'ſche Geſchichte von Maria v. Ros kowska.
(Fortſetzung.) ö ö

Sie hatte nicht beachtet, daß ſich ſein
finſterte, daß er im Begriff ſchien, heftig aufzufahren.
Er faßte ſich indeſſen. „Das verſtehſt Du nicht. Werde
irgend Jemand engagiren, Dich heimzubegleiten oder
einen Wagen zu beſtellen, wenn Du nicht gehen kannſt.“
Haſtig richtete ſie ſich auf. „Nein, laß nur, ich werde
ſchon heimkommen, ohne Geleit. „Adieu.“ Sie wandte
ſich mit bitterm, verächtlichem Lächeln ab, kehrte ſich
aber wieder um. „Sprich davon nicht mit ihm,“ Harold,
ſagte ſie faſt bitteerdd. ö
Eein Zug von Hobavrrvung handelſt, d
Duer, nicht mit ſo jeſuitiſchem Vorbehad wie
Ver —“ *
Der Fiſcher ſtieß ab. Gleichzeitig; drehte ſi
den Rücken. Al ö
demüthigen und obenein die Aufmerkſamkeit der
erregen. Mochte denn geſchehen, was da wollte. In
der verzweiflungsvollen Stimmung, welche ſie erfüllte,
erſchien ihr Alles gleichgültig. Sie glaubte den Boden
unter ihren Füßen ſchwanken zu fühlen, die Umgebung
ſich im Kreiſe bewegen zu ſehen. *
Starr blickte er ihr nach, bis ſie ſeinen Augen
entſchwunden war. Dann ballte er die Hand, als hielte
er darin noch das Blatt, an deſſen Wiederlangung ihr,
und mit Recht, ſoviel gelegen geweſen. „O hätte ich
ihn — ihn ſelber knirſchte er in ſich hinein.
3Zzu Vieles hatte ſie heute erregt. Zu ihrer körper-
lichen Erholung, wie zur geiſtigen Sammlung trat He-

„ vnn

0 gewiſſen.

Es war ja Alles vergebens, wozu ſich

lene in den offenſtehenden Dom und ſetzte ſich in eins
der Geſtühle. Im Gotteshauſe ſchweigen irdiſche Re-

gungen, richtet die Seele ſich himmelwärts. Wenig-

tens ſollte das ſo ſein,zumal in einem ſo hehren und

ehrwürdigen Bau!⸗ Dennoch ſtillten die Wogen ihres
aufzuwallen.) Welche Erinnerungen knüpften ſich an
dieſe Stätte! Und nicht allein die Vergangenheit
machte ihr Recht geltend, auch die Gegenwart. Sie
„Turfie nicht dulden, daß aus ihrem Mangel an Vor-
cht jenem Mann, der ohnehin geung gelitten hatte,

AImenes Leid erwuchs und ehen ſo wenig, daß Hilda dig
Gattin eines Menſchen wurde, den ſie verabſcheute

ihre Umgebung zu achten.
ſchon erhob ſie entſchloſſen den Kopf.
ö glühten, die Augen leuchteten.
Blick ver-

Die Idee, welche ſie vorhin durchblitzt, gewann immer
mehr Form und Geſtalt; ſo mußte es wirtlich gehen.
Das Geſicht auf die Hand geſtützt, vergaß ſie auf
Nach wenigen Minuten
Ihre Wangen
Die Anwandlung von
Schwäche war vorüber. Im Begriff, den Heimweg,
anzutreten,ſah ſie ſich neben einem Mann dor dem
berühmten Altarſchrein. Die Küſterfrau hatte ſich für
den Augenblick entfernt, er betrachtete unverwandt
dieſes Meiſterwerk der Holzſchneiderei. ö

Die junge Frau fühlte ſich wie gebannt. Einſt, vor

ſtand ſie auf derſelben Stelle, von Neuem hingeriſſen

bis-
ihm

von dem genialen Geiſte, der dieſes Gebilde ſchuf und
entzückt von der Feinheit der Ausführung bis in⸗die
kleinſten Details. Auf zweiundzwanzig Feldern, mit
faſt vierhundert. Hauptfiguren, iſt das Leiden und der
Tod Chriſti dargeſtellt. Die Felder in der ſinnigſten
genial und jede einzeine Geſrält vouender. Als Rah-
men des eigentlichen Bildes Niſchen und Spitzbogen
nit ſymboliſchen Geſtalten und reichen Arabeskenſchmuck.
Wie jetzt ſtand damals ein Mann neben ihr und
ie erzählte ihm, ſtolz auf den alten Schatz ihrer Va-
erſtadt, daß Goethe lebhaft bedauert, dieſen Triumph
der Holzſchneidekunſt nicht geſehen zu haben. Da
bandte ſich ihr Begleiter und der Blick, welchen ſie
nit einander tauſchten, dünkte ſie ein magiſches Band,
as ihr beiderſeitiges Leben fortan für immer einen
nüſſe. Aber träumt ſie oder iſt ſie ihres Verſtandes
eraubt? Auch jetzt wendet ſich der Mann an ihrer

özeite und ſchaut ſie einen Augenblick an.

„Helene!“ entringt es ſich⸗ leiſe, wie unbewußt,
einen Lippen. — ö
„Henning!“ — Wohl hat er ſich auffallend verän-
ert, mehr als die Zeit es mit ſich bringen konnte.
daar und Bart ſchon ergrauend! Dazu trug er da-
zals keinen Vollbart und jetzteine Brille, die ihn in

ren Angen ſehr: entſtellte. Trotz alledem würde ſie
„Innern ſich nicht, ſchienen im Gegentheil noch höher

In augenblicklich wiedererkannt haben, auch ohne den

lang der Stimme, die ſie in ihren Träumen ſo oft
Wieder ſtehen ſie ſich gegenüber wie damals. Und
ennoch nicht wie damals, oder doch nur während eines
omentes in jener Selbſtvergeſſenheit, der Einſt und
etzt ein und daſſelbe iſt, die keinen Maßſtab hat für
eit und: Ort, weil, es für ſie weder Zeitmoch Ort

vielen Jahren und auch gerade nach dem Möwenpriis
 
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