Kaa Ra hur u Sedeerger Seitung.
1. 28.
Witnuoch, n 7. April
1880.
Verhängniſſe. *
Novelle von F. L. Reimar.
Cortſetzung.) ö
Martha hatte zuletzt mit Eifer geſprochen; es war
klar, ſie wollte gern das Beſte von ihrer Herrin ſagen!
Dennoch ſchienen ihre Worte auf Edmund wenig Eindruck
zu machen, vielmehr lag es in ſeinem ungeduldigen Achſel-
zucken, daß er ihnen kaum irgendwelches Gewicht beilegte;
auch richtete er keine weiteren Fragen mehr an ſie, ſondern
machte eine Bewegung gegen Johanna, um dieſe über den
Flur zu führen.
Die letztere hatte bisher noch nicht geſprochen, doch
verrieth es ſich, daß ſie mit Antheil dem Bericht der
Dienerin zugehört hatte, denn als ſie nun weiter ſchritten,
wandte ſie ſich gegen ihren Begleiter und ſagte lebhaft:
„Daß nicht alle Erinnerungen bei Ihrer Schweſter erloſchen
ſind, verſchwiegen Sie mir, Edmund!ꝰ
„So! That ich es nicht? Wozu auch?“ entgegnete
er aus ſeiner Verſtimmung heraus; denn was liegt daran,
ob ihr noch die kindiſchen Harmloſigkeiten früherer Zeit
im Gedächtniß geblieben ſind oder nicht, wenn über das,
worauf es jetzt allein ankommt, keine Auskunft von ihr zu
erlangen iſt!“ —
Sie hatten jetzt die Thür zu Leonorens Wohnzimmer
erreicht, und Edmund machte bereits Miene, dieſelbe zu
öffnen, als Johanna ihn daran mahnte, daß es der Lei-
denden in irgend einer Weiſe ſchaden könne, wenn ſie ſich
unvorbereitet plötzlich einer Fremden gegenüber ſähe; ſo
führte er ſie denn zunächſt in ein Gemach, welches an das
eigentliche Boudoir ſtieß, und von dem aus das letztere zu
überſehen war, indem er mit ihr überein kam, daß er in
dem geeigneten Moment zu ihr treten ſolle, um ſie zu
ſeiner Schweſter zu führen. Dann begab er ſich ſelbſt zu
Leonoren.
Das junge Mädchen erkannte den Bruder auf der
Stelle; doch lag keine beſondere Erregung in dem Gruße.
den ſie ihm bei ſeinem Eintritt bot; ſie nickte ihm nur
freundlich zu, ſo etwa, als wenn er eigentlich zu ihrer
Umgebung gehöre und ſich nur für ganz kurze Zeit aus
derſelben entfernt gehabt habe. —
„Es iſt ſchön, Edmund, daß du da biſt,“ ſagte ſie
mit heiterem Anklang in ihrer Stimme, „gerade jetzt dachte
ich daran, daß wir manches Vergnügen mit einander ge-
theilt haben; auch das Reiten, das du mich lehrteſt, gehört
dazu! Ich habe es vor mir — o, ſo genau! — wie
wir unſeren Weg durch den Wald nahmen, bis zur großen
Buche, und dann durch die Tannenſchonung ritten, zur
Thalmühle hinunter, wo du deinen Scherz an dem Müller
hatteſt, der dir immer mit ſo tiefen Bücklingen entgegen
kam, während ich wohl ein gutes Wort mit der Frau
wechſelte. Ich meine, Edmund, wir ſollten wieder ſolche
Touren machen!“
„Aber, Leonore, beſinne dich, wir ſind und wir leben
nicht mehr auf Ulmberg!“ ſagte er, indem ſich, vielleicht
mir ihre Freundſchaft geſchenkt,
ohne daß er ſelbſt dies gewahr ward, etwas von ſeiner
inneren Ungeduld in ſeinen Ton miſchte.
Eine Sekunde lang ſah ſie ihn groß an, dann richteten
ſich ihre Augen von ihm weg auf ihre Umgebung.
„Es iſt wahr,“ ſagte ſie, „es iſt nicht mehr wie ſonſt,
wenn ich auch nicht recht begreife, wie das alles ſo plötz-
lich kommen konnte.“
„Nicht plötzlich!“ entgegnete; „es ſcheint dir das nur
ſo, Kind, weil du krank geweſen biſt.“
„Krank?“ fragte ſie, „war ich wirklich krank?“
„Nun gewiß!“ war ſeine Antwort, „weißt du denn
davon nichts?“ ö
Sie ſchien ſeine Frage halb zu überhören. „Seltſam,“
ſagte ſie nachdenklich und ſchüttelte dabei ihren Kopf, „mir
war eigentlich, als hätte ich im Schlaf gelegen, eine lange,
lange Zeit hindurch. Ja und auch“ — fuhr ſie fort, in-
dem ſie mit ihrer ſchmalen Hand langſam und leiſe über
die Schläfen ſtrich — „als hätte ich währenddem allerlei
Träume gehabt, böſe und traurige!“
Eine ſichtliche Spannung trat in Edmunds Zügen her-
vor; er beugte ſich zu ihr nieder: „Du willſt ſagen, nicht
wahr, Leonore, du fühlteſt es, daß Jemand Unrecht gegen
dich that, dir Kummer bereitete?⸗
Ihre Mienen, die ſo eben, wohl in der Erinnerung an
ihre Träume, etwas Aengſtliches gezeigt hatten, glätteten
ſich wieder, und indem ſie dem Blick des Bruders mit der
vollen Harmloſigkeit, der ganzen Unſchuld eines Kindes in
dem eigenen Auge begegnete, rief ſie: „Aber ſo ſprich doch
nicht von Kummer, Edmund! Es war ja eben alles nichts
als ein Traum! Und nun gar im Ernſt zu denken, daß
Jemand mir ein Unrecht gethan haben könnte!“
Sie lachte faſt fröhlich auf, als ſie die Worte geſprochen
hatte; ihm aber brachte dies Lachen die volle Erinnerung
an ihren Zuſtand zurück.
„Du haſt recht,“ ſagte er haſtig, „wir reden nicht da-
von — jetzt nicht! — Es iſt auch etwas anderes, was
ich dir ſagen wollte, was mich eigentlich hergeführt hat.
Vielleicht weiſt du noch, oder du beſinnſt dich doch wieder
darauf, daß ich ſchon von einer Dame ſprach, die unſere
Verwandte iſt: Fräulein von Bordelow?“
Sie hatte ihn aufmerkſam angehört, machte aber doch
jetzt eine verneinende Bewegung. Edmund ſeufzte kurz und
ungeduldig auf.
„Nun denn,“ fuhr er alsdann jedoch fort, „edenfalls
genügt es wohl, wenn ich dir jetzt ſage, daß ſie nicht allein
ſondern auch Zuneigung
zu dir gefaßt hat. Sie iſt mit mir gekommen und will
nur für dein Beſtes ſorgen — um dich ſein und dich wie
eine Freundin pflegen. Möchteſt du, daß ich dieſe Dame
zu dir führe, Leonore?⸗ ö ö
In das blaſſe Geſicht der Genannten war eine leiſe
Röthe geſtiegen,‚ und zugleich hatte ſich ihr Köpfchen mit
einer gewiſſen Lebhaftigkeit von dem Polſter, an das es
lehnte, emporgerichtet.
„Eine Freundin!“ rief ſie aus, „Und ſie will bei mir
bleiben und wir ſollen glücklich und zufrieden mit einander
ſein?“ O, bringe ſie zu mir, Edmund — ſogleich!“
1. 28.
Witnuoch, n 7. April
1880.
Verhängniſſe. *
Novelle von F. L. Reimar.
Cortſetzung.) ö
Martha hatte zuletzt mit Eifer geſprochen; es war
klar, ſie wollte gern das Beſte von ihrer Herrin ſagen!
Dennoch ſchienen ihre Worte auf Edmund wenig Eindruck
zu machen, vielmehr lag es in ſeinem ungeduldigen Achſel-
zucken, daß er ihnen kaum irgendwelches Gewicht beilegte;
auch richtete er keine weiteren Fragen mehr an ſie, ſondern
machte eine Bewegung gegen Johanna, um dieſe über den
Flur zu führen.
Die letztere hatte bisher noch nicht geſprochen, doch
verrieth es ſich, daß ſie mit Antheil dem Bericht der
Dienerin zugehört hatte, denn als ſie nun weiter ſchritten,
wandte ſie ſich gegen ihren Begleiter und ſagte lebhaft:
„Daß nicht alle Erinnerungen bei Ihrer Schweſter erloſchen
ſind, verſchwiegen Sie mir, Edmund!ꝰ
„So! That ich es nicht? Wozu auch?“ entgegnete
er aus ſeiner Verſtimmung heraus; denn was liegt daran,
ob ihr noch die kindiſchen Harmloſigkeiten früherer Zeit
im Gedächtniß geblieben ſind oder nicht, wenn über das,
worauf es jetzt allein ankommt, keine Auskunft von ihr zu
erlangen iſt!“ —
Sie hatten jetzt die Thür zu Leonorens Wohnzimmer
erreicht, und Edmund machte bereits Miene, dieſelbe zu
öffnen, als Johanna ihn daran mahnte, daß es der Lei-
denden in irgend einer Weiſe ſchaden könne, wenn ſie ſich
unvorbereitet plötzlich einer Fremden gegenüber ſähe; ſo
führte er ſie denn zunächſt in ein Gemach, welches an das
eigentliche Boudoir ſtieß, und von dem aus das letztere zu
überſehen war, indem er mit ihr überein kam, daß er in
dem geeigneten Moment zu ihr treten ſolle, um ſie zu
ſeiner Schweſter zu führen. Dann begab er ſich ſelbſt zu
Leonoren.
Das junge Mädchen erkannte den Bruder auf der
Stelle; doch lag keine beſondere Erregung in dem Gruße.
den ſie ihm bei ſeinem Eintritt bot; ſie nickte ihm nur
freundlich zu, ſo etwa, als wenn er eigentlich zu ihrer
Umgebung gehöre und ſich nur für ganz kurze Zeit aus
derſelben entfernt gehabt habe. —
„Es iſt ſchön, Edmund, daß du da biſt,“ ſagte ſie
mit heiterem Anklang in ihrer Stimme, „gerade jetzt dachte
ich daran, daß wir manches Vergnügen mit einander ge-
theilt haben; auch das Reiten, das du mich lehrteſt, gehört
dazu! Ich habe es vor mir — o, ſo genau! — wie
wir unſeren Weg durch den Wald nahmen, bis zur großen
Buche, und dann durch die Tannenſchonung ritten, zur
Thalmühle hinunter, wo du deinen Scherz an dem Müller
hatteſt, der dir immer mit ſo tiefen Bücklingen entgegen
kam, während ich wohl ein gutes Wort mit der Frau
wechſelte. Ich meine, Edmund, wir ſollten wieder ſolche
Touren machen!“
„Aber, Leonore, beſinne dich, wir ſind und wir leben
nicht mehr auf Ulmberg!“ ſagte er, indem ſich, vielleicht
mir ihre Freundſchaft geſchenkt,
ohne daß er ſelbſt dies gewahr ward, etwas von ſeiner
inneren Ungeduld in ſeinen Ton miſchte.
Eine Sekunde lang ſah ſie ihn groß an, dann richteten
ſich ihre Augen von ihm weg auf ihre Umgebung.
„Es iſt wahr,“ ſagte ſie, „es iſt nicht mehr wie ſonſt,
wenn ich auch nicht recht begreife, wie das alles ſo plötz-
lich kommen konnte.“
„Nicht plötzlich!“ entgegnete; „es ſcheint dir das nur
ſo, Kind, weil du krank geweſen biſt.“
„Krank?“ fragte ſie, „war ich wirklich krank?“
„Nun gewiß!“ war ſeine Antwort, „weißt du denn
davon nichts?“ ö
Sie ſchien ſeine Frage halb zu überhören. „Seltſam,“
ſagte ſie nachdenklich und ſchüttelte dabei ihren Kopf, „mir
war eigentlich, als hätte ich im Schlaf gelegen, eine lange,
lange Zeit hindurch. Ja und auch“ — fuhr ſie fort, in-
dem ſie mit ihrer ſchmalen Hand langſam und leiſe über
die Schläfen ſtrich — „als hätte ich währenddem allerlei
Träume gehabt, böſe und traurige!“
Eine ſichtliche Spannung trat in Edmunds Zügen her-
vor; er beugte ſich zu ihr nieder: „Du willſt ſagen, nicht
wahr, Leonore, du fühlteſt es, daß Jemand Unrecht gegen
dich that, dir Kummer bereitete?⸗
Ihre Mienen, die ſo eben, wohl in der Erinnerung an
ihre Träume, etwas Aengſtliches gezeigt hatten, glätteten
ſich wieder, und indem ſie dem Blick des Bruders mit der
vollen Harmloſigkeit, der ganzen Unſchuld eines Kindes in
dem eigenen Auge begegnete, rief ſie: „Aber ſo ſprich doch
nicht von Kummer, Edmund! Es war ja eben alles nichts
als ein Traum! Und nun gar im Ernſt zu denken, daß
Jemand mir ein Unrecht gethan haben könnte!“
Sie lachte faſt fröhlich auf, als ſie die Worte geſprochen
hatte; ihm aber brachte dies Lachen die volle Erinnerung
an ihren Zuſtand zurück.
„Du haſt recht,“ ſagte er haſtig, „wir reden nicht da-
von — jetzt nicht! — Es iſt auch etwas anderes, was
ich dir ſagen wollte, was mich eigentlich hergeführt hat.
Vielleicht weiſt du noch, oder du beſinnſt dich doch wieder
darauf, daß ich ſchon von einer Dame ſprach, die unſere
Verwandte iſt: Fräulein von Bordelow?“
Sie hatte ihn aufmerkſam angehört, machte aber doch
jetzt eine verneinende Bewegung. Edmund ſeufzte kurz und
ungeduldig auf.
„Nun denn,“ fuhr er alsdann jedoch fort, „edenfalls
genügt es wohl, wenn ich dir jetzt ſage, daß ſie nicht allein
ſondern auch Zuneigung
zu dir gefaßt hat. Sie iſt mit mir gekommen und will
nur für dein Beſtes ſorgen — um dich ſein und dich wie
eine Freundin pflegen. Möchteſt du, daß ich dieſe Dame
zu dir führe, Leonore?⸗ ö ö
In das blaſſe Geſicht der Genannten war eine leiſe
Röthe geſtiegen,‚ und zugleich hatte ſich ihr Köpfchen mit
einer gewiſſen Lebhaftigkeit von dem Polſter, an das es
lehnte, emporgerichtet.
„Eine Freundin!“ rief ſie aus, „Und ſie will bei mir
bleiben und wir ſollen glücklich und zufrieden mit einander
ſein?“ O, bringe ſie zu mir, Edmund — ſogleich!“