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Heidelberger Familienblätter — 1880

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Nr. 79 - Nr. 87 (2. October - 30. October)
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GUaänetiliſhe Weitage jur Heidelberger Beitang.

Ur. 86.

Mittwoch, den 27. October

1880.1ͤ

Ji ſpät!
Erzählung von Eva Hartner. ö
Cortſetzung.) ö ö
wo ſteckſt du ſchon wieder?“ ertönte
„Tante Geheimräthin

„Klara, Klara,
Berthas Stimme im Nebenzimmer.
fragt nach dir!! ö
„Ich komme ſchon!“ rief Klara aufſpringend. „Bitte,
bitte, Fräulein Wera, erwarten Sie mich hier, ich komme
gleich zurück!“ flüſterte ſie dieſer zu und verſchwand.
Wera war es wohl zufrieden, ein Weilchen allein blei-
ben zu können. Die Lichter, die vielen Menſchen, der
Tanz, die in einem Ballſaal unvermeidliche Hitze, das alles
griff die an abſolute Einſamkeit Gewöhnte an.
es kühl und ſtill. Klara hatte zwar die Thüre offen ge-
laſſen, allein ſchwere Portieren ſchieden den kleinen Raum
faſt völlig von den Geſellſchaftszimmern. Sie ſtützte den
Kopf auf die Hand und überließ ſich ihren Gedanken.
5Hier alſo!“
Sie fuhr auf. War ſie eingeſchlafen, hatte ſie ge-
träumt? Befand ſie ſich wirklich hier in einem fremden,
engen Gemach und nicht hoch oben im Gebirge unter den
Bäumen, das Rheinthal zu ihren Füßen?
Erich trat ein, ſie waren allein, allein und von der
Welt geſchieden. — ö
VHier alſo!“ wiederholte Erich näher tretend. „Muß-
ten Sie es mir ſo ſchwer, ſo unſäglich ſchwer machen, Sie
endlich, endlich einmal ſprechen zu können?
„Sie hatte ſich erhoben und ſtand vor ihm, bleich und
zitternd. Sie wollte ſprechen, aber ihre Lippen verſagten
den Dienſt. Er ſah ihr in das erregte Geſicht. „Sie
ſehen nicht wohl aus, Wera!“ ſagte er in leiſem Ton.
„Das Leben im Walde hat ihnen mehr zugeſagt.“
„Ich wußte es ja im Voraus!“ ſagte ſie mit zucken-
den Lippen. Erinnern Sie ſich nicht, daß ich es Ihnen
geſagt habe, als wir uns zum letzten Mal ſahen 2“
„Ob ich mich deſſen erinnere!
ein einziges
haben?“
Er ſagte es herb, faſt bitter, und doch erfaßte es ſie
wie ſelige Schauer, wie die Gewißheit der ſüßen Ahnung,

Wort vergeſſen, das Sie je zu mir geſagt

die ſie aufrecht gehalten. Aber ein Bangen ergriff ſie zu

gleicher Zeit, ein Grauen vor dem, was kommen würde,
kommen mußte. ö —
„Bitte, laſſen Sie uns zur Geſellſchaft zurückkehren?“
bat ſie gepreßt. ö
„Nein!“ ſagte er hart. „Nein, das will ich nicht!
drei Monate, dreimal dreißig tödtlich lange Tage ſind es
nun, daß ich die Qual erdulde, Ihnen nahe zu ſein und
doch von Ihnen getrennt! Glauben Sie, ich würde die

Gelegenheit, die erſte, vielleicht die einzige, die mir das

Schickfal bietet, ſo leichten Kaufs vorüber gehen laſſen?
Ein paar höfliche nichtsbedeutende Worte mit Ihnen wech-
ſeln und damit gut? Nein, erſchrecken Sie nicht; bei Gott,
nichts iſt mir ferner, als Sie erſchrecken zu wollen, aber
hören Sie mich an, Wera! — Ich liebe Sie! — Sie

werden ſagen, ich habe kein Recht zu ſolcher Sprache!

Hier war

Glauben Sie, ich hätte

er wirklich nicht? Oder zürnte er nur ihm?

Nein, ich habe kein Recht, ich weiß alles, was Sie mir
entgegnen können, ich habe es mir geſagt in ſchlafloſen
Nächten, in qualvollen Tagen, ich weiß, daß alles uns
trennt, und dennoch wiederhole ich: ich liebe Sie, Wera!“
„Nicht weiter,“ unterbrach ihn das Mädchen mit angſt-
voll gerungenen Händen. „Seien Sie barmherzig, nicht
weiter! Ich kann, ich darf Sie nicht anhören!“

„Warum nicht?“ fragte er mit finſterer Entſchloſſen-

heit. „Weil eine Familienfeindſchaft uns trennt? Weil
Ihr Vater einen tödtlichen Haß gerade auf mein Haus

geworfen hat? Laſſen Sie ſich eins ſagen, Wera: Ihr

Vater wird jeden Mann haſſen, der es wagt, den Blick
zu Ihnen zu erheben, denn er wird Sie keinem Manne
gönnen.“ — *
„Wer hat Ihnen das Recht gegeben, Herr, in dieſer
Weiſe über mich zu meiner Tochter zu reden ?ꝰ ö
Der Kommerzienrath ſtand zwiſchen den Erregten, ſeine
Züge waren bleich aber ruhig, nur im Auge funkelte ein
unheimliches Feuer. ö
Erich faßte ſich zuerſt. ö
„Ich werde mir morgen die Ehre geben, Herr Kom-
merzienrath, Sie aufzuſuchen und mein heutiges Benehmen
zu rechtfertigen,“ ſagte er mit Haltung. „Bis dahin bitte
ich, mich nicht zu verdammen!“
Der Kommerzienrath neigte ſein Haupt. „Ich werde
Sie morgen um zwölf Uhr erwarten. Jetzt verlange ich,
daß Sie zur Geſellſchaft zurückkehren und ſich ſo weit be-
herrſchen, daß nichts in Ihrem Weſen auffällig iſt. Gehen
Sie, Herr Doetor, meine Tochter mag durch Unwohlſein
entſchuldigt werden.“ Er ſprach langſam und beſtimmt,
kein Zug in ſeinem Geſicht verrieth, was er litt. Erich
gehorchte ſchweigend. ö
Es wurde kein Wort zwiſchen Vater und Tochter ge-
ſprochen, als Erich gegangen war. Das Mädchen ſaß
bleich und ſtill am Tiſch, der Kommerzienrath lehnte an
der Thüre. ö ö
Die Klänge der Tanzmuſik klangen aus dem Ballſaale
herüber. ö ö ö —
„Fühlſt du dich jetzt ſtark genug, um wieder zu
tanzen?“ fragte der Vater nach langem Schweigen in
ruhigem Ton. ö
Wera erhob ſich ſchwankend. Der Vater bot ihr den
Arm. „Stütze dich feſt auf, es wird ſchon gehen, du
brauchſt nicht mehr lange zu bleiben.“ Er ſprach mild
und faſt zärtlich. Was hatte das zu bedeuten? Zürnte

Wera ſah ſchüchtern zu ihm auf. Ach ſie hatte nie
die ſchwere Kunſt verſtanden, iw ihres Vaters Zügen zu-
leſen. Auch jetzt konnte ſie nichts darin entziffern, er war
etwas blaß, allein er ſah ruhig aus, ganz ruhig, als ſei
nichts geſchehen. ——
An der Thür des Ballſaals kam ihnen Weras Tänzer

entgegen, der ſie vergebens geſucht hatte.

Der Kommerzienrath entſchuldigte das Ausbleiben ſeiner

Tochter mit einem plötzlichen Unwohlſein. Der junge Mann
rieth beſorgt, doch lieber die Luft des Ballſaales zu ver-
meiden, das Fräulein ſehe noch ſehr angegriffen aus.
 
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